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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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blies ihm den stechenden Schneeregen ins Gesicht, und er atmete ihn ein, als könnte er ihn innerlich reinigen. Er hatte keine Ahnung, wie lange er so dastand. Das Wetter hatte den Nachmittag frühzeitig dunkeln lassen, und sein Gesicht war sofort taub vor Kälte geworden. Er spürte die Hagelkörner im Regen nur, weil sie auf seiner Zunge pieksten.
    Als er sich schließlich umdrehte, um zurück ins Haus zu gehen, sah er, dass er nicht allein auf der Straße war. In einiger Entfernung kamen zwei Gestalten die Straße herunter, den Kopf vor dem Wind geduckt. Felsen erreichte die Treppe des Hauses, als eine der Gestalten zum Seiteneingang strebte, als suchte sie Schutz vor dem Regen. Im Profil sah er, dass es ein Esel war. Die andere Gestalt kam müde auf ihn zugetrottet, und an dem Gang erkannte er, dass es Abrantes war. Er spürte das harte Metall der Pistole in seinem Hosenbund und knöpfte seinen Mantel auf. Abrantes hob die linke Hand, um das Tuch von seinem Gesicht zu wickeln. Seine rechte Hand hing schlaff herab. Dann ging alles so schnell, dass Felsen nicht reagieren konnte. Im Bruchteil einer Sekunde hatte Abrantes die letzten fünf Meter zurückgelegt, umarmte den Deutschen und klopfte mit beiden Händen auf den Rücken seines Ledermantels.
    »Bom natal« , sagte er. Frohe Weihnachten.
    Abrantes führte Felsen die Treppe hinauf ins Haus. Er rief nach Maria und sagte ihr, sie solle sich um den Esel kümmern, worauf sie im hinteren Teil des Hauses verschwand. Sie gingen ins Wohnzimmer, und Abrantes warf Scheite ins Feuer. Felsens Gesicht erwachte schmerzend wieder zum Leben. Abrantes ging in die Küche und kam mit einer Flasche aguardente und zwei Gläsern zurück. Er goss Schnaps in die Gläser, und sie stießen auf Weihnachten an. Abrantes wirkte glücklicher, als Felsen ihn je erlebt hatte.
    »Ich habe gehört, Sie waren in Foios«, sagte er, als ob Felsen lediglich auf ein Glas vorbeigeschaut und niemanden angetroffen hätte.
    »Der chefe in Vilar Formoso meinte, dass uns möglicherweise schwere Zeiten bevorstehen, deshalb dachte ich mir, ich sehe mir mal die Maultiere an.«
    »Und Sie haben gesehen, dass ich sie seit Monaten für Transporte benutze.«
    »Seit Monaten?«
    »Ich habe drüben mehr als fünfzig Tonnen gelagert.«
    »Wo?«
    »In einem Lager in Navasfrias.«
    »Das hätten Sie mir sagen sollen. Ich hatte in Berlin große Probleme, das Defizit zu erklären.«
    »Das tut mir Leid. Ich habe bloß auf Gerüchte reagiert.«
    »Was für Gerüchte?«
    »Dass sich Dr. Salazar nach der deutschen Invasion in Russland und dem andauernden Feldzug nicht mehr allzu große Sorgen macht, sie könnten auch hier einmarschieren. Es heißt, die Deutschen kämpften an zu vielen Fronten.«
    »Erinnern Sie sich noch an den Untergang der Corte Real im Oktober?«
    »Nicht zu vergessen die Cassequel «, sagte Abrantes. »Die Cassequel war eines unserer besten Schiffe, siebentausend Tonnen.«
    »Und Sie denken nicht, dass das ein Problem für Lissabon ist?«
    »Ich denke, wir sollten morgen nach Vilar Formoso fahren«, sagte Abrantes, »um dem chefe noch ein Weihnachtsgeschenk zu bringen.«
    »Ich war erst vor ein paar Tagen dort.«
    »Er hat ein kurzes Gedächtnis«, sagte er.
    »Dann könnten wir auch über die Grenze fahren und uns das Lager in Navasfrias ansehen«, sagte Felsen. »Ist es sicher?«
    »Es ist sicher.«
    Sicher bedeutete Männer mit Schrotflinten. Felsen sah sich unvermittelt mit zerfetztem Gesicht zwischen Geröll und Sträuchern liegen, aber er konnte Abrantes gegenüber keinen Rückzieher mehr machen. Er nickte und blickte sein Gegenüber an, doch er sah nur wettergegerbte Haut über massigen Knochen und zwei Augen, die darauf konzentriert waren, weiteren Schnaps einzugießen.
    Was hatte Poser noch über die Portugiesen gesagt? Zweierlei. Erstens gab es in Portugal kein Gesetz, das sich nicht irgendwie umgehen ließ, und zweitens griffen die Portugiesen einen nie frontal an. Sie ließen einen nach vorne gucken und schlugen dann von hinten zu.
    Die beiden Männer verzehrten ein großes Huhn und ein wenig gerösteten bacalhau . Dazu tranken sie zwei Flaschen Vorkriegs-Dão, der im Gaumen den warmen, runden Geschmack eines weniger komplizierten Sommers hinterließ.
    Felsen ging früh zu Bett, rauchte und nahm einen Schluck aguardente aus seiner Taschenflasche. Nach einer Stunde ging er über den Hof und lauschte mit der Waffe in der Hand an der Tür des Hauses. Er hörte Abrantes’ vertrautes Grunzen

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