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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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kannst aufspielen auf deiner Geige.
    Dela schum schum schum
    Dela schum schum schum
    Dela schum
     
    Felsen ging die noch intakte Treppe hinauf, während die Stimme den Refrain manisch wiederholte. Die Tür zu Evas Wohnung stand offen. Das Wohnzimmer war vollkommen leer, selbst einige Bodendielen waren herausgerissen worden. Er folgte der Stimme in Evas Arbeitszimmer. In einer Ecke zusammengekauert und in ein bizarres Ensemble von Kleidungsstücken gehüllt – Schals, Strickjacken, Röcke und sogar eine Männerweste –, hockte Traudl. Als sie ihn sah, hörte sie auf zu singen.
    »Hast du mir heute etwas mitgebracht?«, fragte sie.
    Ihr Gesicht hatte wieder völlig kindliche Züge angenommen, nur ohne den Babyspeck. Die weiße Haut über ihren Wangenknochen war dünner als feinstes Handschuhleder. Ihre Schläfen waren eingefallen. Er kniete sich neben sie.
    »Oh«, sagte sie, als sie sah, dass es ein Mann war, »willst du mit mir ficken?«
    »Wo ist Eva, Traudl?«
    »Na gut, dann lass mich wenigstens bei dir sitzen, nur sitzen.«
    »Du kannst bei mir sitzen, aber sag mir trotzdem, wo Eva ist.«
    »Sie ist weggegangen.«
    »Wohin?«
    Das Mädchen runzelte die Stirn, antwortete jedoch nicht. Er versuchte, mit der Hand durch ihr Haar zu streichen, doch es war zu verfilzt. Sie fing wieder an, ihr Lied zu singen.
    Er hörte Schritte auf der Treppe. Im Wohnzimmer ging ein flackerndes Licht an. Eine Frau tauchte im Türrahmen auf.
    »Was machen Sie hier?«, fragte sie, aggressiv, bis sie seine Uniform sah.
    »Ich suche Eva Brücke.«
    »Frau Brücke ist schon vor Monaten von der Gestapo verhaftet worden.«
    Das Mädchen stellte seinen Vortrag ein.
    »Weswegen?«, fragte Felsen.
    »Judenrein, judenrein, judenrein«, sang Traudl.
    »Weil sie Illegalen Unterschlupf gewährt hat«, sagte die Frau. »Das Mädchen ist ein paar Tage später hier aufgetaucht. Sie weigert sich, das Haus zu verlassen, selbst bei Fliegeralarm. Ich bringe ihr hin und wieder etwas zu essen. Aber bei der Kälte muss sie bald hier raus.«
    Felsen nahm sie mit in seine Wohnung, die von der Organisation Todt requiriert worden war, um dort Arbeiter für Speers Rüstungsfabriken einzuquartieren. Er gab einer der Frauen all seine Lebensmittelkarten und ein wenig Geld und ließ Traudl in ihrer Obhut.
    Anschließend ließ er sich von seinem Fahrer in die Wilhelmstraße bringen, wo er sich im Hotel Adlon ein absurd luxuriöses Zimmer nahm.
    Am nächsten Morgen um halb neun saß er im Büro des SS-Sturmbannführers Otto Graf in der Prinz-Albrecht-Straße Nr. 8. Sie warteten auf Evas Akte, während Graf eine von Felsens Zigaretten genoss und in den noch dunklen Morgen starrte. »Welches Interesse haben Sie an dem Fall, Herr Sturmbannführer?«
    »Ich kannte sie.«
    »Intim?«
    »Sie führte seit Jahren Klubs und Bars in Berlin. Viele Leute kannten sie.«
    »Aber was ist mit Ihnen?«
    »Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie es nicht zuließ, dass man sie richtig kannte.«
    »Schon möglich … bei dem, was sie getan hat, blieb ihr wohl kaum etwas anderes übrig.«
    »Ich kannte sie schon vor dem Krieg. Sie war schon immer so.«
    Die Akte traf ein. Graf betrachtete das Foto und erinnerte sich an sie. Er blätterte die Akte durch.
    »Ja, ja, den Typ kenne ich«, sagte er. »Sieht aus, als würde sie am ersten Morgen zerbrechen wie ein Bleistift, und drei Wochen später hat sie uns immer noch nichts erzählt. Nicht dass …«
    »Drei Wochen?«
    »Es war eine sehr ernste Angelegenheit. Sie hat Juden außer Landes geschmuggelt. In Güterwaggons für Möbel nach Göteborg.«
    »Und nach den drei Wochen?«
    »Sie hatte Glück. Wäre Freisler der Vorsitzende Richter gewesen, hätte man sie gehängt. So wurde sie nur lebenslänglich nach Ravensbrück geschickt.«
    Felsen bot eine weitere Zigarette an, die sein Gegenüber gern annahm. Amerikanische Lucky Strikes, die er aus Lissabon mitgebracht hatte. Er gab Graf die Schachtel und eine weitere aus seiner Tasche. Er sagte, er könnte auch eine oder zwei Stangen organisieren. Graf nickte.
    »Kommen Sie in der Mittagspause wieder, dann habe ich Ihre Besuchserlaubnis bereitliegen.«
    Einen Wagen zu beschaffen war nicht schwer, doch Felsen brauchte den ganzen Nachmittag und zwei weitere Stangen Zigaretten, um Benzin zu organisieren. Er hätte auch den Zug nach Fürstenberg nehmen können, doch irgendwer hatte ihm erzählt, dass der Bahnhof weit vom Lager entfernt lag und die Beförderung dorthin nicht immer

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