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Tod in Seide

Tod in Seide

Titel: Tod in Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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zu sagen, dass ich Staatsanwältin war. Diese Tatsache allein, schon gar ohne Ausweis, würde mir keine Fahrt im Krankenwagen einbringen. »Ich bin seine Frau!«, schrie ich sie an. »Ich bleibe bei ihm.« Ich duckte mich in den Krankenwagen, und der Sanitäter stieg hinter mir ein und schloss die Tür.
    Ich hielt die kurze Fahrt über Mercers Hand, als wir eskortiert von drei Polizeiwagen und unter dem lauten Geheul der Krankenwagensirene zum Saint Vincent’s Hospital fuhren.
    Ich wusste nicht, ob der große Tropfen unter Mercers linkem Auge eine Schweißperle oder eine Träne war. Er löste sich erst auf, als die Trage ausgeladen und in die Notaufnahme gebracht wurde. Die ganze Zeit über hatte Mercer seine Augen nicht ein einziges Mal geöffnet, nicht einmal für einen winzigen Moment.

22
    »Hör auf, dir Vorwürfe zu machen! Er ist Polizist und du nicht. Ist doch unser Job, für euch undankbare Arschlöcher, die ihr uns Schweine nennt, die Kugeln abzufangen, oder etwa nicht? Du hast nicht auf ihn geschossen, sondern irgend so ein verfluchter Köter – wenn ich den nur für eine Viertelstunde in die Finger kriegen würde …«
    Ich hatte als Erstes Chapman angepiept, noch bevor ich den Lieutenant und den Bezirksstaatsanwalt angerufen hatte. »Es ist meine Schuld, dass wir dorthin gegangen sind, ohne dir davon zu erzählen.«
    »Toll, Blondie. Du wolltest also, dass ich auch noch mit Blei voll gepumpt werde, hm?« Mike war innerhalb einer Stunde nach meinem Anruf im Krankenhaus eingetroffen, wo er jetzt mit mir auf den Bescheid des Chirurgen wartete. Er war schneeweiß vor lauter Angst und Sorge um seinen Freund und fuhr sich andauernd mit den Fingern durch die Haare – ein untrügliches Zeichen dafür, wie aufgewühlt er war.
    »Was hast du Spencer gesagt?« Mercers verwitweter Vater war bis zu seiner Pensionierung Mechaniker bei Delta Air Lines gewesen. Mike war auf dem Weg ins Krankenhaus bei ihm vorbeigefahren und hatte ihm von der Schießerei erzählt.
    »Mann, das war eine große Scheiße! Aber besser ich als irgend so ein Geistlicher, der plötzlich vor der Tür steht und so tut, als ob er jede Woche für Mercers Wohlergehen betet. Ich wollte nicht, dass es sein Paps später in den Nachrichten hört, ohne dass vorher jemand mit ihm gesprochen hat. Das war vielleicht das Schwierigste, was ich je getan habe.« Mike hörte mit dem Auf- und Abtigern auf, setzte sich auf einen der beigen Plastikstühle im Warteraum und lehnte seinen Kopf gegen die Nackenstütze.
    »Wollte er mitkommen?« Ich wusste, dass Spencer zu Anfang des Jahres einen leichten Schlaganfall gehabt und sich noch nicht völlig davon erholt hatte. Aber Mercer war sein Ein und Alles, und es zerriss mir förmlich das Herz bei dem Gedanken daran, wie sehr ihn dieser Vorfall quälen musste.
    »Ja, aber ich sagte ihm, er solle es unbedingt bleiben lassen. Er sieht noch so schwach aus, Alex, und meine Nachricht gab ihm den Rest. Ich rief seine Schwester an, die ein paar Häuser weiter wohnt, damit sie heute Nachmittag bei ihm bleibt.« Mercer war zweimal verheiratet gewesen, hatte aber im Moment keine Freundin. »Spencer machte sich auch um dich Sorgen. Er sah mich nur an und sagte, dass du und ich jetzt Mercers Familie sind. Wir sollen heute bei ihm sein.«
    Mike stand wieder auf, drehte eine Runde und ging dann zur Tür.
    »Wo gehst du hin?«
    »Ich muss ein paar Anrufe erledigen. Du bleibst sitzen.«
    »Hier ist doch ein Telefon. Wir können meine Kreditkarte benutzen, um nach draußen zu telefonieren.«
    Mike beachtete mich nicht und ging. Ich verstand, was los war. Obwohl wir drei uns sehr nahe standen, wusste ich, dass ich unter diesen Umständen ein Außenseiter war. Die Zunft der Polizisten, die jeden Tag für uns ihr Leben riskieren, hält ziemlich fest zusammen, wenn es einen von ihnen erwischt hat. Die meisten Polizisten schwören, dass sie lieber selbst sterben würden als den Tod eines Partners nicht verhindern zu können. Ich war zwar bei der Schießerei dabei gewesen, aber ich war unverletzt geblieben. Da ich keine Waffe trug, hätte man nicht von mir erwartet, in dieser Situation wie ein Polizist gehandelt zu haben. Aber ich hatte enorme Schuldgefühle, dass ich Mercer in eine Lage gebracht hatte, die ihn vielleicht das Leben kostete.
    »Sind Sie Miss Cooper?«
    Auf den Gängen wimmelte es von Polizisten. Einige hatten über Funk von der Schießerei gehört, andere hatten mit Mercer zusammengearbeitet und waren gekommen, nachdem

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