Tod in Seide
meinen Redefluss kein einziges Mal und wickelte mich, als ich aus der Wanne stieg, in ein Badehandtuch. Als ich den Gürtel des weißen Bademantels zuknotete und mich auf die Bettkante setzte, um meine Mutter anzurufen und ihr zu sagen, dass es mir gut ging, war mir seit Tagen zum ersten Mal kalt. Danach kam es mir vor, als würde ich stundenlang wach liegen und das maskierte Gesicht des Schützen vor mir sehen, aber schließlich rollte ich mich auf die Seite und schlief mit Jakes Arm auf meiner Schulter ein.
Um drei viertel acht war ich fertig, um ins Büro zu fahren. »Wie sieht dein Tag heute aus?«, fragte ich Jake und sah ihm dabei zu, wie er sich die Krawatte band und sich für die Fahrt zum NBC-Büro im Rockefeller Center fertig machte.
»Ungefähr so wie deiner. Das heißt, ich weiß auch noch nicht, was mich im Büro erwartet. Ich soll über die Rede des Außenministers bei den Vereinten Nationen berichten. Muss ich mir auch noch um dich Sorgen machen oder reichen atomare Sprengköpfe, Bürgerkriege und ein aktiver Vulkan auf den Antillen?«
»Battaglia wacht bombensicher über mich. Dann wird also dein Pieper meinen Pieper anpiepen?«
»Worauf du dich verlassen kannst. Bis heute Abend.«
In Begleitung meiner bewaffneten Beschützer verließ ich das Haus und fuhr auf dem FDR Drive Richtung Downtown. Da ich früh dran war, hatte ich Zeit, die Sachen aufzuarbeiten, die am Freitag, den ich mir freigenommen hatte, neu hereingekommen waren. Ich warf einen Blick in meinen Terminkalender. Eine Kollegin hatte mich gebeten, um zehn Uhr eine Zweitvernehmung ihrer Zeugin in einem Fall von häuslicher Gewalt zu machen.
Ich hatte also zwei Stunden Zeit, um einige Telefonate zu erledigen und Freunde anzurufen. Als meine Kollegen nach und nach eintrafen, kamen viele von ihnen vorbei, um sich nach meinem und Mercers Befinden zu erkundigen, da sie von der Schießerei in den gestrigen Abendnachrichten gehört hatten. Schließlich machte ich die Tür zu meinem Büro zu, damit mir ein Besuch von Pat McKinney erspart blieb. Es war schon ohne seine Boshaftigkeit genug Salz in meinen emotionalen Wunden.
Um viertel nach zehn rief ich Maggie an und fragte, ob ihre Zeugin schon eingetroffen sei.
»Sie hat gerade angerufen und abgesagt. Ihr Mann hat sie auf eine Kreuzfahrt eingeladen. Sie würde sich gerne in zwei Wochen mit Ihnen treffen: Scheint, als ob sie sich doch nicht so vor ihm fürchtet, wie ich gedacht hatte.«
Das hieß, dass ich am Vormittag eine Stunde zusätzlich zur Verfügung hatte – das dachte ich zumindest, bis mir Laura über die Gegensprechanlage mitteilte, dass ein junger Anwalt von der Prozessabteilung, Craig Tompkins, zu mir geschickt worden war, um einen neuen Fall mit mir zu besprechen. Ich öffnete meine Tür und bat ihn in mein Büro.
»Mal was Neues, wenigstens für mich. Mein Supervisor meinte, Sie hätten eventuell eine Idee, welche Anklage ich erheben könne.«
»Um was geht’s?«
»Die Sicherheitskräfte drüben im Javits Center halten einen Kerl fest, aber ich bin mir nicht sicher, dass etwas vorliegt, um ihn zu verhaften.«
»Was hat er getan?« Das Javits-Gebäude war das Kongresszentrum der Stadt und der Veranstaltungsort vieler Konferenzen, Ausstellungen und Tagungen von Wirtschaftsverbänden.
»Er hat sich für das Treffen der Trekkies diese Woche angemeldet. Es scheint so, als ob er gestern den ganzen Tag nichts anderes getan hat als mit den Aufzügen rauf und runter zu fahren. Die Wächter wurden auf ihn aufmerksam, da er ein bisschen dämlich aussah und die ganze Zeit eine große Sporttasche bei sich hatte, aber nie zu einem der Vorträge oder in einen der Konferenzräume ging. Als er heute Morgen wiederkam, fuhr der Chef des Sicherheitsdienstes ein paar Mal mit dem Kerl den Lift hoch. Dieser Wichser hat eine Videokamera in seiner Tasche versteckt. Er wartet darauf, dass ein Mädchen in einem kurzen Rock vor ihm in den Aufzug steigt, dann fährt er mit ihr hoch und hält die ganze Zeit die Tasche so, dass ihr die Kamera unter den Rock sieht. Wohl nach dem Motto – jede Minute eine freudige Erregung.«
»Was hat man mit ihm gemacht?«
»Man hat ihn wegen Belästigung festgenommen und die Sporttasche und die Videokamera konfisziert.«
»Scheint mir so weit alles richtig. Wo ist das Problem?«
»Nun, es gibt keine Opfer.«
»Was ist mit den Frauen, die er gefilmt hat?« Um eine Anklage wegen Belästigung zu erheben, musste jemand bestätigen, dass das Verhalten des
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