Tod in Seide
Anton Bailey. Sagt euch das was?«
24
Das Morddezernat Manhattan Nord war wie ausgestorben. Jeder Mann und jede Frau, ob im Dienst oder nicht, hatte sich gemeldet, um mitzuhelfen, den Mordanschlag auf Mercer zu lösen. Wer nicht offiziell im Einsatz war, klapperte das Viertel ab in der Hoffnung, Hinweise zu bekommen, denen es sich dann nachzugehen lohnte. Der Rest drängte sich in der Eingangshalle des Saint Vincent’s Hospitals, obwohl bisher nur die engsten Freunde und Familienmitglieder zu Mercer vorgelassen wurden.
»Cooper und ich gehen mit dem da ins Büro des Lieutenants. Und du rufst in Albany an und telefonierst so lange rum, bis du jedes Blatt Papier, das in diesem Staat über Anton Bailey existiert, bekommen hast«, wies Chapman Jimmy Halloran an. »Und wenn du damit fertig bist, dann rufst du die Polizei in Gainesville, Florida, an und wiederholst das Spielchen. Gib ihnen beide Namen, Bailey und Anthony Bailor.«
»Sagen Sie mal, Alex, wie ist er eigentlich in unser System gekommen, ohne dass wir von dem Fall in Florida Wind bekamen?«, fragte Halloran. »Wie kommt es, dass bis jetzt niemand gemerkt hatte, dass Anton Bailey und Anthony Bailor ein und dieselbe Person sind?«
»Da hat er wohl einfach Glück gehabt.« Im Staat New York wurden von jedem, der eines Verbrechens angeklagt wurde, die Fingerabdrücke überprüft. Aber hin und wieder versagte die Technik. Wenn der Täter zum Beispiel einen anderen Namen verwendete oder das überregionale Computersystem wieder mal streikte, konnte der Fingerabdruckvergleich nicht gemacht werden. Falls der Ankläger oder Richter sich die Zeit nahm, das Kleingedruckte unten auf dem Strafregister zu lesen, würde er in einem solchen Fall dort lesen können, dass die Ergebnisse ausschließlich auf einem Namensvergleich beruhten und nicht durch eine Fingerabdrucküberprüfung verifiziert worden waren.
Falls die Vorstrafe wegen Vergewaltigung auf Baileys Register vermerkt gewesen wäre, dann hätte er für den Diebstahl mehr Jahre bekommen, als er tatsächlich absaß. Er wäre nicht auf freiem Fuß gewesen, um Denise Caxton zu überfallen und zu misshandeln, und dann wäre es vielleicht auch nicht zu den anderen Todesfällen gekommen.
»Sie müssen Don Cannon sein«, sagte Mike und schüttelte dem Mann die Hand. »Ich bin Detective Chapman, Mike Chapman. Und das ist Alexandra Cooper von der Bezirksstaatsanwaltschaft. Danke, dass Sie gekommen sind.«
Ich schätzte Cannon auf etwa fünfundzwanzig bis dreißig. Er war ein bisschen kleiner als ich, mit einem ernsten Gesichtsausdruck und einer Hornbrille. Er schien sich genauso unwohl zu fühlen wie die meisten Zivilisten, die sich plötzlich in einen Mordfall verwickelt sahen, aber er signalisierte eine Kooperationsbereitschaft, die nur wenige in der Form zum Ausdruck brachten.
»Bitte setzen Sie sich und erzählen Sie uns ein bisschen über sich. Ich würde gerne wissen, worin Ihre Aufgaben in Mr. Varellis Studio bestanden und sonstige Dinge in der Art.«
»Sie wissen mittlerweile sicher, dass Marco in seinem Fach der unbestrittene Meister war und der sorgfältigste Handwerker, den man sich nur denken konnte. In den letzten fünfzig Jahren ist ihm fast jedes wichtige Restaurierungsprojekt angeboten worden. Die, die ihn am meisten begeisterten, behielt er für sich. Ich bin ursprünglich aus Sacramento, habe an der UCLA studiert und einen Abschluss als Master of Fine Arts. Ist es das, was sie wissen wollen?« Er sah Mike und mich fragend an, um zu sehen, ob er auf dem richtigen Weg war. Wir nickten.
»Einer meiner Professoren hatte in den Achtzigerjahren mit Varelli bei der Restaurierung von Guernica zusammengearbeitet. Sie erinnern sich vielleicht – das Picasso-Gemälde, das im Museum of Modern Art von einem Irren beschädigt wurde?«
»Ja, natürlich. Unsere Staatsanwaltschaft war für den Fall zuständig.«
»Der Professor wusste, dass ich Restaurator werden und meine eigene Werkstatt im Getty oder in einem anderen Museum an der Westküste einrichten wollte, sobald ich mir erst einmal einen gewissen Ruf erworben hatte. Bei Marco Varelli in die Lehre zu gehen – nun, es gibt in der Branche einfach keine bessere Vorbereitung auf diesen Beruf und keine bessere Referenz.«
»Wann haben Sie angefangen für ihn zu arbeiten?«, fragte ich.
Cannon zögerte. »Niemand arbeitete für Varelli. Das heißt, ein paar Arbeiter vielleicht, die die Gemälde transportierten oder im Studio die schweren Arbeiten machten.
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