Tod in Seide
für das achte Stockwerk und legte meine Sonnenbrille in das Etui.
»Was macht das schon für einen Unterschied? McKinney hat noch kein einziges nettes Wort über dich verloren, seit du hier arbeitest. Zum Teufel mit ihm. Wer wird ihn schon die nächste halbe Stunde vermissen – seine Freundin?«
»Welche Freundin? Du meinst Ellen? Sie arbeitet nur für ihn, sie ist nicht seine Freundin.«
Wir verließen den Aufzug und gingen in Richtung meines Büros.
»Erzähl mir nicht, dass du genauso naiv bist wie seine Frau, Coop. Diese ganze platonische Scheiße? ›Piep mich an, Schatz, ich bin heute Nacht mit den Cops auf Waffenrazzia unterwegs. Streifeneinsatz. Grand Jury um Mitternacht.‹ Kennst du außer Ellen sonst noch jemanden in der Prozessabteilung, der eine so intensive Supervision bekommt? Einzelgespräche hinter verschlossenen Türen? Glaub mir. Das nächste Mal, wenn er dir wieder Probleme macht, gebe ich dir Deckung.«
Als wir um die Ecke bogen, sah ich, wie meine Sekretärin Laura grinste. Zweifellos hatte sie Mikes Stimme gehört, als wir den Gang entlanggekommen waren. Er gab seine beste Smokey-Robinson-Imitation zum Besten, während sie anfing, mit mir die heute Vormittag bereits eingegangenen Anrufe und Meldungen durchzugehen. Mit Mikes Summen und Fingerschnippen im Hintergrund waren die ersten sechs, die allesamt später erledigt werden konnten, schnell abgehandelt. Als er anfing, den Text zu verändern und sang: »Und für den Fall, dass du vor Gericht gehst, ist ein Rechtsanwalt dein Mann … doch für den Fall, dass du mich liebst, ja dann, Laura, dann ruf mich an«, gab ich auf und ging in mein Büro zu meinem Schreibtisch, um zu sehen, was dort noch auf mich wartete.
Ich nahm mir drei extrastarke Kopfschmerztabletten aus meiner Schreibtischschublade. Das momentan äußerst anstrengende Gerichtsprogramm, das ich noch zusätzlich zu meinen Pflichten als Leiterin der Abteilung für Sexualverbrechen zu bewältigen hatte, ging nicht spurlos an mir vorüber. Sarah Brenner, meine Stellvertreterin und gute Freundin, hatte die ärztliche Anweisung erhalten, zu Hause zu bleiben, da der Geburtstermin ihres zweiten Kindes schon drei Tage überfällig war. Da ich bis zum Montag Zeit hatte, die Stellungnahme im Falle Reggie X fertig zu machen, entschloss ich mich, zuerst die Anfragen der anderen Anwälte in der Abteilung zu beantworten.
»Was hörte sich am Wichtigsten an?«, rief ich Laura zu.
»Wenn ich Sie wäre, würde ich zuerst mit Patti sprechen. Soll ich sie anrufen?«
»Ja. Und danach machen Sie bitte einen Termin mit Ryan aus.«
Mike zog seinen marineblauen Blazer aus und hängte ihn über eine Stuhllehne, bevor er sich den Stapel Zeitungen griff, die mir ins Büro geliefert worden waren. Er sah nach, ob ihm in dem Mord an Gertie eventuell ein schlauer Reporter mit irgendwelchen Details zuvorgekommen war, die er übersehen hatte.
Patti Rinaldi war eine meiner Lieblingskolleginnen – eine solide Anwältin mit gutem Urteilsvermögen und einer zähen Beharrlichkeit im Gerichtssaal. Man konnte ihr die Begeisterung für die Arbeit und für die Hilfe, die sie den Opfern zukommen lassen konnte, förmlich ansehen, als sie, die Unterlagen ihrer aktuellen Fälle unterm Arm, mein kleines Büro betrat.
»Ein Traum in Lavendelblau, Miss Rinaldi«, sagte Chapman, während er die große, schlanke Brünette über den Rand der New York Post hinweg musterte. »Sie sehen heute hinreißend aus. Sie werden mir doch nicht untreu geworden sein?«
»Bei dem, was hier an Arbeit anfällt, habe ich nicht mal Zeit, daran zu denken, Mike. Ich hatte gestern die Spätschicht für Neueingänge. Ich dachte mir, dieser hier könnte Sie interessieren, Alex. Haben Sie schon mal einen Fall an einer Schlafklinik gehabt?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Dann haben wir nun unseren Ersten.«
Mikes Neugier war geweckt. »Was ist eine Schlafklinik?«
»Die neueste Goldgrube der Psychoschwätzer. Mittlerweile hat fast jedes Krankenhaus eine. Patienten, die Schlafprobleme haben – das heißt, an Schlaflosigkeit leiden, schlafwandeln, schnarchen und so weiter –, werden dort ›untersucht‹, während sie schlafen. Mit dem Ziel, ein Mittel gegen ihre Beschwerden zu finden.«
»Und«, fügte Patti meinen Ausführungen hinzu, »die Patienten zahlen eine ganze Menge Geld – 1000 bis 1500 Dollar pro Aufenthalt –, nur um die Nacht auf einem Feldbett zu verbringen und damit ihnen jemand beim Schlafen zusieht, ihre Traumzeit und die
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