Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Seide

Tod in Seide

Titel: Tod in Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
Vom Netzwerk:
Dabei will ich nur, dass Marco wieder am Leben ist und mit mir um die Ecke zu Da Silvano zum Abendessen geht. Bei schönem Wetter haben wir fast jeden Abend dort draußen gesessen. Die Künstler warfen Marco respektvolle Blicke zu, Marco blickte sehnsüchtig den jungen Damen hinterher, ich trank ein paar Gläschen Wein, und später gingen wir alle glücklich nach Hause. Nach zweiundsechzig Jahren ist man schrecklich einsam. Wollen Sie etwas kaufen oder verkaufen, Miss Cooper?«
    Während sie redete, gingen wir an Mike und Mercer vorbei in einen düsteren, zweckmäßig gestrichenen und eingerichteten Raum, der nur auf die nächste Leiche zu warten schien. Ihre äußerst aufrechte Haltung, ihr zerbrechlicher Körper und ihr scharfer Verstand verliehen der alten Frau eine gewisse Eleganz.
    »Ich bin Staatsanwältin, Mrs. Varelli. Vertreterin der Anklage.«
    »Geht es hier um ein Verbrechen?«
    »Ich arbeite an einem anderen Fall, einem Mordfall. Eine Frau wurde letzte Woche ermordet. Ich habe gehört, dass Mr. Varelli geschäftliche Kontakte zu ihr hatte. Wir, das heißt die Detectives und ich, hatten vor, Ende dieser Woche mit ihm darüber zu sprechen. Da erfuhren wir von seinem Tod. Es tut mir so Leid für Sie. Ich möchte Sie jetzt nicht noch mehr belasten, aber vielleicht könnten Sie mir den Namen des Assistenten oder der Assistentin Ihres Mannes verraten, dem oder der er …«
    Ihr Rücken war kerzengerade, als sie sich mit dem Finger auf die Brust tippte. »Ich bin die Einzige, der er vertraut hat, Miss Cooper. Er hatte ein paar Arbeiter, die ihm bei der schweren Arbeit halfen, beim Kistenschleppen und so weiter, und ab und zu hatte er auch einen Lehrling. Aber es gibt nichts Geschäftliches, worüber ich nicht Bescheid wüsste. Wer ist die Dame, die ermordet wurde?«
    »Caxton, Denise Caxton.«
    Mrs. Varelli drehte ihren Kopf zur Seite und schwieg.
    »Sie kannten sie also?«
    »Man soll von den Toten nichts Schlechtes sagen, oder?«
    »Welche Art von Geschäftskontakten hatten sie und Ihr Mann?«
    »Die gleichen wie alle anderen auch, Miss Cooper. Sie wissen über Marco Bescheid?«
    »Ich muss gestehen, dass ich seinen Namen diese Woche zum ersten Mal gehört habe. Aber alle, mit denen ich gesprochen habe, versichern mir, welch ein wundervoller Mensch er gewesen ist.«
    »Ein Genie. Haben sie das auch gesagt? Vor allem war er ein Genie.«
    Ich nickte.
    »Als Junge studierte er Kunst an der Accademia in Florenz. Er liebte die Farbe – nicht die Leinwand, sondern die Substanz –, und noch leidenschaftlicher liebte er schöne Frauen. Ihm selbst lag das Zeichnen oder der schöpferische Akt weniger. Was er hervorragend konnte, war, die Schönheit in alten Gemälden zu sehen. Marco konnte stundenlang in seinem Atelier stehen und an einem scheinbar wertlosen, dreckigen alten Bild herumfummeln. Er setzte sich seine Schutzbrille auf – sie war das Einzige, was ihn mit dem zwanzigsten Jahrhundert zu verbinden schien – und tupfte sanft, sehr sanft mit einem Wattestäbchen auf die verblichenen Farben. Hinter ihm stand der ungeduldige Sammler oder Händler und trieb ihn an: ›Was siehst du, Marco? Was meinst du, Marco, worum handelt es sich?‹ Sie haben ja keine Ahnung, welche Schätze er im Laufe der Jahre gefunden hat. Obwohl er schon vierundachtzig war, entdeckte er unter dem Schmutz von Jahrhunderten Dinge, die kein anderer für möglich halten würde.«
    »Und seine Krankheit? Er arbeitete also noch trotz seiner Herzprobleme?«
    Mrs. Varelli fauchte mich an. »Welche Krankheit?«
    »Ich, äh, man hat mir gesagt, dass er nach seinem Herzanfall von einem Arzt untersucht worden ist.«
    »Ein Anflug von Arthritis – deswegen war der Doktor gekommen. Marcos Talent basierte auf zwei Dingen, seinem Auge und seiner Hand. Keiner von uns … keine Pillen, keine Maschinen, keine Medizin. Zum Arzt ging er nur, wenn seine Hand von der Arthritis schmerzte oder weil er zu lange ein Scalpell gehalten hatte. Un po’ di vino , die Medizin der Trauben, daran glaubte Marco.«
    »Er starb an Herzversagen.« So sanft wie möglich versuchte ich, sie daran zu erinnern, dass das die Diagnose gewesen war, die der Hausarzt dem Pathologen der gerichtsmedizinischen Abteilung gegeben hatte.
    »Mit Marcos Herzen war alles in Ordnung. Sein Herz war so gut, so stark.« Mrs. Varelli stiegen Tränen in die Augen.
    »Waren Sie immer bei Ihrem Mann im Studio?«
    »Nein, ich war selten dort. Unsere Wohnung ist im selben Haus. Wir tranken in der

Weitere Kostenlose Bücher