Tod in Seide
ihn nervös machte, ihm agita gab. Das hat er gesagt: ›In meinem Alter brauche ich keine agita. ‹«
»Aber er sagte nichts Genaueres?«
»Nicht zu mir. Ich war nur froh, dass er nicht mehr länger mit ihr zusammenarbeiten wollte. Ihm schienen die Leute nicht zu gefallen, die sie anschleppte.«
»Hat Mr. Varelli jemals über Rembrandt geredet?«
»Wie könnte jemand wie er, bei seinem Beruf, nicht über Rembrandt reden?«
Ich war dankbar, dass sie mir nicht geantwortet hatte, welch dumme Frage das sei. »Ich meine, in letzter Zeit, und in Zusammenhang mit Denise Caxton?«
»Sie wissen also nicht, dass Marco weltweit der führende Experte für Rembrandt ist« – ihre Brust hob und senkte sich, als sie tief durchatmete und sich dann verbesserte – »war? Wahrscheinlich sind Sie zu jung, um die Geschichte zu kennen. Rembrandts berühmtestes Gruppenporträt heißt Nachtwache . Haben Sie es jemals gesehen?«
»Ja, in Amsterdam, im Rijksmuseum.«
»Genau. Dann wissen Sie vielleicht auch, dass es ursprünglich, vor mehr als dreihundert Jahren, einen anderen Titel hatte.«
»Nein, ich kenne nur den.«
»Als er es malte, hieß es Die Kompanie des Hauptmanns Frans Banning Cocq und des Leutnants Willem van Ruytenburch. Im Laufe der Zeit lagerte sich auf dem Bild so viel Schmutz ab, dass man dachte, es sei eine Szene bei Nacht dargestellt – deshalb der Titel, unter dem Sie es kennen. Nun, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, so um 1947 herum, als Marco sich gerade einen Ruf als Restaurator zu machen begann, war er Teil eines Expertenteams, das damit beauftragt war, das riesige Gemälde zu restaurieren. Während der Reinigung hellte es unglaublich auf. Es war das erste Mal, dass jemand im zwanzigsten Jahrhundert erkannte, dass es sich gar nicht um eine Nachtdarstellung handelte. Marco war der Einzige aus dem Team, der fünfzig Jahre später noch am Leben war. Wenn irgendjemand, egal wer, etwas über einen Rembrandt wissen wollte, dann war mein Marco der Einzige, der weiterhelfen konnte. Könige, Präsidenten, Millionäre – sie alle kamen mit ihren Gemälden zu Marco Varelli.«
»Und Denise Caxton? Hat sie ihm jemals einen Rembrandt gebracht?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hat Ihr Mann Ihnen jemals erzählt, dass sie oder jemand anders ihn gebeten hätte, sich Farbsplitter anzusehen?«
Wieder sah mich Mrs. Varelli an, als ob ich nicht ganz dicht sei.
»Mein Mann hat nichts anderes getan. Farbe, Farbsplitter, Farbstreifen, Farbfragmente. Daraus, Miss Cooper, entstehen Meisterwerke.«
»Entschuldige, Alex. Könnte ich dich einen Augenblick sprechen?« Mercer steckte seinen Kopf durch die Tür.
»Kann ich jetzt zu Marco zurückgehen?«
»Geben Sie uns noch ein paar Minuten, Mrs. Varelli, und dann verschwinden wir«, sagte ich zu ihr.
Ich dankte ihr für ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit angesichts der Umstände und ging zurück in den Raum, in dem sich der Sarg befand. Mike stand an der Kopfseite des Sarges.
»Ich hoffe, dass ihr, indem ihr ihm die letzte Ehre erweist, mehr aus dem Toten herausbekommen habt als ich aus der Witwe«, sagte ich, als ich den Raum betrat. »Ein bisschen Kunstgeschichte und die Vermutung, dass Denise Caxton nur Ärger brachte – das ist alles.«
»Dann würde ich sagen, dass Mrs. Varelli sich auf ihren Instinkt verlassen kann. Erinnerst du dich an den Fall, den ich vor einigen Jahren in Spanish Harlem hatte? Der argentinische Tänzer Augusto Mango, der während des Liebesspiels mit einer fanatischen Verehrerin das Zeitliche segnete?«
»Ja, sehr gut.«
»Weißt du noch, wie wir herausfanden, dass es Mord und kein Herzanfall war?«
»Nein.«
»Ein Doktor hatte ihn vor Ort für tot befunden. Muss wohl ein Fußpfleger gewesen sein. Als sie ihm dann im Beerdigungsinstitut die Haare kämmten, fand der Leichenbestatter ein Einschussloch in seinem Hinterkopf. Ein kleines Kaliber, das fast keine Spur hinterließ. Der Ehemann des Fans war der Mörder. Die Schlagzeile der Post lautete damals: Tanz keinen Tango mit Mango . Nun, Mr. Zuppelo gäbe keinen guten Friseur ab.«
Mike drehte vorsichtig Marco Varellis Kopf zur Seite und strich das dichte, weiße Haar an seinem linken Ohr glatt, ähnlich wie er es am Spuyten Duyvil mit Denise Caxton getan hatte. Es war unverkennbar, dass eine Kugel in den Schädel des guten alten Mannes eingedrungen war.
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»Strafgericht, Presseabteilung, wo jedes Verbrechen eine Story und jede Story ein Verbrechen ist. Mickey Diamond am
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