Tod in Seide
Früh zusammen unseren Kaffee, dann ging er nach oben an die Arbeit. Mittags kam er zum Essen und für einen Mittagsschlaf herunter. Danach ging er stets wieder an die Arbeit, manchmal bis in den Abend hinein, wenn er gerade mit etwas beschäftigt war, das er liebte, oder wenn er eine überraschende Entdeckung gemacht hatte. Schließlich kam er herunter, um zu baden und sich das Öl, den Lack und die Farbe abzuwaschen. Danach gingen wir zusammen essen, allein oder auch mit Freunden. Ein einfaches, aber sehr erfülltes Leben, Miss Cooper.«
»Haben Sie Denise Caxton gekannt?«
»Ich habe zuerst ihren Mann kennen gelernt. Das ist so lange her, dass ich mich kaum erinnern kann, wann das war. Er war kein sehr warmherziger Mann, aber er war gut zu Marco. Lowell Caxton erwarb vor etwa dreißig Jahren bei einer Auktion in London ein Porträt. Man hatte es in England fälschlicherweise als unidentifiziertes Porträt eines jungen Mädchens katalogisiert und verkauft. Lowell ersteigerte es, weil er sagte, es würde ihn an seine Frau erinnern – wer immer das damals gerade war. Er glaubte nicht, dass es wertvoll sei und brachte es nur zum Reinigen zu Marco. Aber Marco fand auch, dass sie eine Schönheit war. ›Übermalt‹, jammerte er jedes Mal, wenn er herunterkam. Er war kein Mann vieler Worte. Das war zwischen uns auch nicht nötig. Tag und Nacht arbeitete er daran, bis Leben in das Gesicht des Mädchens zurückkehrte und ihr kleines blaues Kleid wieder einen warmen seidigen Glanz bekam. Eines Nachmittags kam Marco zum Mittagessen herunter. Ich servierte ihm seine Suppe, und er sah mich über den Tisch hinweg an. ›Gainsborough‹, sagte er, ›es ist ein Gainsborough.‹ Jedes Museum in England wollte es zurückkaufen. Die meisten hätten Marco nur den Preis für die Restaurierung bezahlt, und mein Mann wäre damit auch zufrieden gewesen. Lowell Caxton aber kam in der darauf folgenden Woche wieder, gerade als Marco zum Mittagessen heruntergekommen war. Ich ließ ihn ins Haus, damals habe ich ihn kennen gelernt. Unter seinem Arm trug er ein kleines, in braunes Packpapier eingewickeltes Päckchen. Es war ein Tizian, sehr klein und wunderschön. Wir haben ihn noch immer. Wenn Sie zu mir nach Hause kommen, können Sie ihn sich ansehen.«
»In Ihrer Wohnung? Ein Tizian?«
»Aber ein ganz kleiner. Es ist nur eine Studie, ein Ausschnitt von einem seiner großen Werke. Kennen Sie den Raub der Europa ?«
Natürlich kannte ich es wie jeder, der jemals im College einen Kurs in Kunstgeschichte belegt hatte. Rubens nannte es einmal das großartigste Gemälde der Welt. Ich hatte es oft gesehen, da es Teil der Sammlung des Gardner-Museums war. War das nur ein Zufall? »Wann, sagten Sie, gab Ihnen Mr. Caxton den Tizian?«
Mrs. Varelli dachte einen Augenblick nach. »Das muss jetzt dreißig, fünfunddreißig Jahre her sein.«
Vor Denise, vor dem Diebstahl im Gardner-Museum.
»Und Denise Caxton, war sie eine Auftraggeberin von Mr. Varelli?«
»Anfangs kam sie oft mit ihrem Mann, später allein. Wieder später mit anderen Leuten, vielleicht Händlern oder Käufern. Ich habe sie nie im Studio getroffen. Manchmal erzählte mir Marco Geschichten über sie.«
»War er über Mrs. Caxton der gleichen Meinung wie Sie?«
Mrs. Varelli warf ihren Kopf in den Nacken und lachte.
»Natürlich nicht. Sie war jung, sie war wunderschön, und sie wusste, wie man mit einem alten Mann umging. Sie hat mit Marco ihr Italienisch geübt. Sie hat ihm geschmeichelt und ihn geneckt und ihm faszinierende Bilder gebracht, die er sich ansehen sollte. Sie hat immer nach Gold gesucht, auch wo keines war. Wenn Sie mich fragen, stahl sie Marco nur seine Zeit.«
»Wissen Sie, wer die Männer waren, mit denen sie in letzter Zeit gekommen ist?«
»Nein. Aber ich kann Ihnen die Namen der Arbeiter meines Mannes nennen. Vielleicht sind sie ihnen vorgestellt worden oder sie können Ihnen wenigstens sagen, wie diese Männer ausgesehen haben. Wenn Sie mir Ihre Karte geben, rufe ich Sie nächste Woche an und gebe Ihnen ihre Telefonnummern.«
»Ist das der einzige Grund, warum Sie Denise nicht leiden konnten?«
»Einer reicht mir. Sie brachte nur Ärger. Sogar Marco meinte das.«
»Was hat er Ihnen über sie erzählt, Mrs. Varelli?«
»Wie ich schon gesagt habe, Miss Cooper, Marco machte nicht viele Worte. Aber wenn Mrs. Caxton in den vergangenen Monaten bei ihm gewesen war, kam er herunter und lächelte nicht wie sonst. Sie wollte, dass er an etwas arbeitete, was
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