Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Stimme von Fred. »Für den Anfang reicht es.«
Paul schloß die Augen. Aber er hörte nicht, daß sich ihre Schritte entfernten. Als er die Augen wieder aufmachte, standen sie über ihm. Er sah ihre Schuhe und die Hosenbeine deutlich vor sich; alles andere verschwamm im Nebel.
»Das war für die Rache«, sagte Harald, und Fred ergänzte: »Du wolltest dich doch an uns rächen, oder?«
Paul schluckte den Metallgeschmack hinunter. Freds Stimme war mit einem Mal sehr nah: »Hattest du dir schon einen Plan ausgedacht? Dann laß ihn fallen, aber schnell!«
Paul kämpfte gegen das leere Würgen in seinem Magen. Er stemmte sich auf die Ellbogen hoch und schob sich etwas von den vier Beinen weg.
Harald lachte. »Und du bekommst noch einmal die doppelte Portion, wenn du Mätzchen machst!«
»Haut ab!« wollte Paul sagen, aber er brachte nur ein Krächzen heraus. Fred beugte sich über ihn. »Mit Mätzchen meint Harald ‹singen›, verstanden?«
»Wieso?« Paul hustete etwas. »Wieso habt ihr plötzlich Angst, ich könnte singen?«
»Wir haben keine Angst. Es war ein Ratschlag unter Freunden.«
Paul versuchte, das Gesicht von Fred zu erkennen, aber es blieb verschwommen. Er sprach in die helle Fläche hinein: »Ich bin zwei Jahre im Bau gewesen. Für eine Sache, die ihr gemacht habt. Warum sollte ich jetzt singen?«
»Das will ich dir sagen.«
Fred richtete sich auf und wich etwas zurück, und plötzlich konnte Paul sein Gesicht deutlich sehen. Winzig klein und unendlich weit weg, aber sehr scharf, wie durch ein umgekehrtes Fernglas. Die Stimme war weich und einschmeichelnd.
»Weil du es anders nicht schaffst ... Natürlich wirst du zuerst versuchen, uns so oder so zu schaden oder uns eins auszuwischen. Falls dann noch etwas von dir übrig sein sollte, würdest du garantiert zur Polizei rennen. Nicht, daß sie dir glauben würden, aber wir lieben nun mal Sänger nicht, und auch keine Nachtigallen. Wir denken daran, wie du damals, lange nach deiner Verhandlung, plötzlich gesungen hast und nicht mehr der einzige gewesen sein wolltest!«
Fred griff in die Tasche, holte ein flaches, goldglänzendes Zigarettenetui heraus und ließ es spielerisch von einer Hand in die andere gleiten. »Das hat dich wohl umgehauen, als du dein Urteil gehört hast, wie? Als sie sich nicht um deine siebzehn Jahre gekümmert haben. Totschlag. Du hast den starken Max so echt gespielt, daß dir später kein Mensch glauben wollte. Ich kann's verstehen. Aber keine Angst, mein Junge. Diesmal wird es gar nicht soweit kommen!«
Paul schloß die Augen, doch Fred redete weiter.
»Wir werden dir beweisen, daß du heute noch dasselbe Würstchen bist wie vor zwei Jahren. Ein Nichts! Nächste Woche steigt ein Ding, und du machst mit. Du wirst mit dabeisein, und du wirst das Maul halten. Nun, schon neugierig?«
»Nein!« stieß Paul hervor.
Harald hob einen Fuß, aber Fred legte ihm eine Hand auf den Arm und ließ das Zigarettenetui wieder in die Tasche rutschen.
»Du hast einen Tag Zeit, Paul. Aber viele Möglichkeiten gibt es nicht. Mit uns oder gegen uns. Sonst nichts. Und gegen uns zu sein, bedeutet für dich nichts Gutes, das kannst du mir glauben.«
»Verschwindet!« brüllte Paul. Er erhob sich halb und stützte sich mit den Schultern gegen den Schrank.
Fred spreizte die Finger seiner rechten Hand. »Ich warne dich; wir sind ziemlich groß geworden. Größer, als du es dir vorstellen kannst!«
Paul spuckte vor Freds Füße und sah mit einer gewissen Befriedigung, daß es Blut war. »Nein, nicht mit euch. Ihr glaubt wohl, ich würde euch noch einmal trauen? Verlaß dich auf keinen, das habe ich gelernt!«
Harald lachte brüllend und ahmte ihn nach: »Verlaß dich auf keinen! Genau das sagen wir uns auch!«
Paul konnte nicht mehr ausweichen. Sie stürzten sich wieder auf ihn und arbeiteten unbeteiligt und systematisch wie ferngesteuerte Maschinen.
3
Als Paul wieder zu sich kam, war es dunkel. Er wälzte sich auf die Seite und starrte in die trübe Dämmerung seines Zimmers, das alle drei Sekunden durch ein aufflammendes Neonlicht von der Straße her in helles Rot getaucht wurde.
Er war allein.
Nach und nach zog er sich an der Schrankwand hoch und wankte zum Waschtisch. Er beugte sich über die Waschschüssel mit lauwarmem Wasser und legte sein Gesicht hinein.
Wenigstens bin ich wieder hier, dachte er und richtete sich auf. Er ging zur Tür, knipste das Deckenlicht an und wartete, bis seine Augen nicht mehr brannten. Im Spiegel der
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