Tod in Wolfsburg (German Edition)
Vier so machen?«
»Ja. Und um herauszufinden, inwiefern Karen davon betroffen war.
Drei-, viermal bin ich in der großen Pause dort gewesen, um mit denen, aber
auch mit anderen zu reden …« Milbert sah Johanna einen Moment mit hochgezogenen
Brauen fragend an, als erwarte sie eine weitere Zwischenfrage. »Das Unglück und
die Ermittlungen in Kreuzheide hatten einen ziemlichen Wirbel ausgelöst«, fuhr
sie fort, als Johanna sie nur unverwandt anblickte. »Viele wussten, wer die
Mädchen waren, und es war nicht besonders schwierig, sie zu treffen. Nur
gesprochen haben sie kaum mehr als zwei Sätze mit mir. Und andere Schüler auch
nicht. Dafür habe ich zweimal einen versteckten, aber unmissverständlichen
Hinweis bekommen.«
»Wie darf ich mir das vorstellen?«
»Einmal erhielt ich direkt nach der Rückkehr von der Schule einen
anonymen Anruf von einem Mädchen. Sie sagte, dass man sich mit denen auf keinen
Fall anlegen dürfe. Die meisten hätten Angst vor ihnen, und es ginge um Geld
und auch Drogen.«
»Und beim zweiten Mal?«
»Empfahl mir eine Schülerin auf dem Pausenhof im Flüsterton, dass
ich lieber mit meiner Fragerei aufhören solle – wenn ich keinen Ärger mit denen
haben wolle. Die schreckten vor nichts zurück. Was sich ja bestätigt hat.«
Johanna lehnte sich zurück. »Würden Sie das Mädchen wiedererkennen?«
Milbert hob das Kinn. »Selbst wenn – sie würde diese Aussage nicht
wiederholen. Und auch auf die Gefahr hin, dass Sie mich, wie viele andere auch,
nun für albern und hysterisch halten oder meine Reaktionen als völlig überzogen
betrachten, Frau Kommissarin: Ich hatte den Eindruck, dass viel Angst auf dem
Schulhof herrscht, und ich bin davon überzeugt, dass diese Mädchen meine
Enkelin auf dem Gewissen haben und mich ausschalten oder zumindest zu Tode
erschrecken wollten, weil ich Ihnen unangenehm nahegekommen bin.« Milbert
versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Was ihnen durchaus
gelungen ist.«
»Es geht nicht darum, wie ich Sie einschätze«, erwiderte Johanna.
»Es geht um Indizien und Beweise. Ich benötige für meine weiteren Ermittlungen
brauchbare und belegbare Ansätze und Hinweise, Zeugenaussagen und so weiter. Es
genügt nicht, dass Sie von einem Verbrechen überzeugt sind, es muss auch
bewiesen werden können. Und wenn niemand eine bestätigende Aussage macht und
sich keine Spur findet, die ich verfolgen kann …«
»… dann wird die Akte geschlossen? Sehe ich das richtig?«
»Schlimmstenfalls, ja.«
»Ich bin auf die Straße gestoßen worden – von Philippa, dieser
kleinen aalglatten Hexe mit dem unschuldigen Kindergesicht, die mir vorher
zuflüsterte, dass ich wie Karen enden würde, wenn ich mich weiterhin in Sachen
einmische, die mich nichts angehen. Habe ich mir das eingebildet?«
»Das Problem ist, dass niemand das Geschehen so bestätigen kann, wie
Sie es schildern«, wandte Johanna ein. Sie zog das Foto, das Lola ihr zur
Verfügung gestellt hatte, aus der Innentasche ihrer Jacke und zeigte es
Milbert. »Erkennen Sie auf diesem Bild jemanden?«
Sie nickte. »Natürlich, das sind sie.« Sie zeigte auf Philippa. »Und
sie hat sich erst hinter mich geschlichen und sich dann ganz schnell wieder
unter die anderen Wartenden gemischt, als ich ins Stolpern geriet. Da hat
niemand was Genaueres mitbekommen.« Waltraud Milbert hielt plötzlich inne. »Es
ist nicht zu glauben, wie es diesen halbwüchsigen Mädchen gelingt, Behörden und
Polizei für dumm zu verkaufen. Und das Rezept dafür scheint ganz einfach zu
sein: zusammenhalten, an den richtigen Stellen Angst verbreiten und ansonsten
ganz und gar harmlos tun. Worauf wartet die Polizei eigentlich? Dass ein
weiterer Unglücksfall geschieht?«
»Ich warte ganz und gar nicht, Frau Milbert, ich bin dran an dem
Fall, und ich tue alles, um eine verwertbare Spur zu finden.«
»Dann beeilen Sie sich, und schauen Sie genau hin!«
Eine Viertelstunde später verließ Johanna die Klinik und setzte sich
tief durchatmend hinters Steuer. Waltraud Milbert war anstrengend und sicher
keine einfache Persönlichkeit, der die Herzen nur so zuflogen; zudem klang ihre
Darstellung zumindest stellenweise eher abenteuerlich als überzeugend.
Skeptiker kämen aus dem Kopfschütteln wahrscheinlich gar nicht mehr heraus, und
wer ihr Böses wollte, konnte ihr ein krankhaftes Bemühen unterstellen, Karen
und damit natürlich auch die ganze Familie Milbert posthum mit spektakulären
Geschichten reinwaschen zu wollen.
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