Tod ist nur ein Wort
gehabt. Hoffentlich nicht ausgeprägt genug, dass er sie direkt zu Chloe führte. Die Abseite war in der Dunkelheit schwer zu finden, und wenn sie sich dort drinnen nicht rührte, hatte sie vielleicht eine Chance.
Ihr die Taschenlampe dazulassen, war dumm gewesen, doch er hatte es nicht über sich gebracht, sie einfach in der pechschwarzen Finsternis einzuschließen, die sie so sehr fürchtete. Er konnte nur hoffen, dass diese kleine Geste nicht ihren Tod zur Folge hatte.
Schon aus der Entfernung hörte er sie kommen. Sie bemühten sich gar nicht erst, leise zu sein. Wahrscheinlich hofften sie ihn so aus der Deckung zu locken. Er drückte sich in den Schatten und beobachtete, wie Monique, begleitet von einigen Männern, aus dem Keller kam. Einer der Männer trug Chloes schlaffen Körper über der Schulter. Die Fesseln hatte man ihr offenbar abgenommen.
Sie war bewusstlos, aber nicht tot. Wenn sie tot wäre, hätten sie sie dort liegen lassen. Er sah das Blut auf ihrem blassen Gesicht und wie es in ihr Haar tropfte, und er brauchte seine gesamte Selbstbeherrschung, um ruhig zu bleiben und keinen Laut von sich zu geben. Er konnte es nicht riskieren, sie hier zu überwältigen. Wenn er versagte, würde Chloe sterben. Er musste warten.
Im Licht des Morgengrauens erhaschte er einen ersten Blick auf Monique. Er konnte nur so viel erkennen, dass er die skelettartige Figur als seine frühere Geliebte identifizieren konnte. Die Kugel hatte ihr Gesicht verwüstet – kein Wunder, dass sie blutrünstig war. Ihre Logik dabei war verdreht, aber in sich schlüssig. Wenn Chloe nicht gewesen wäre, hätte man die Dinge im Château geregelt und es wäre nicht zu jener blutigen Nacht in Paris gekommen. Dort hatte ihre Wut auf Chloe sie unvorsichtig werden lassen und beinahe umgebracht.
Diesmal sollte ihr Hass sie tatsächlich umbringen, er brauchte nur die Gelegenheit zum sicheren Schuss. Bis dahin konnte er nichts anderes tun, als ihnen zu folgen. Er hatte Chloe zu oft in Gefahr gebracht. Dies sollte das letzte Mal sein.
Der Frühlingsmorgen war klar und ruhig, der Schnee zu ihren Füßen schmolz und die jungen Blätter an den Bäumen raschelten beim leisesten Lufthauch. Er begriff rasch, wohin sie Chloe brachten – er hätte wissen sollen, dass Monique nichts dem Zufall überlassen wollte.
Zur alten Mine.
Monique musste gut recherchiert haben, denn sie wusste offenbar um Chloes Ängste und brachte sie dorthin, um sie zu quälen. Das sah Monique ähnlich. Andere zu peinigen, war für sie Lust und Wonne pur.
Die Waffe lag gut in seiner Hand, kühl wie seine Gedanken, kühl wie das Blut in seinen Adern. Die aufgehende Sonne ließ den Schnee schmelzen, doch sein Herz blieb frostig. Denk nicht an sie, ermahnte er sich. Konzentrier dich auf dein Ziel und lass dich nicht von Gefühlen beeinflussen. Er konnte Chloe nur retten, wenn ihn ihr Schicksal gleichgültig ließ. Er musste sich so sehr abschotten, dass er wie eine Maschine handelte.
Doch Chloe hatte seinen Schutzschild durchbrochen. Er war verwundbar geworden, und zum ersten Mal im Leben hatte er Angst, dass er das Spiel verlieren könnte.
Lautlos bewegte er sich durch den Wald. Da er wusste, wohin sie wollten, war es leicht, sich eine gute Position zu verschaffen, bevor sie eintrafen. Der Eingang zu der alten Mine lag gleich hinter dem ersten Hügel und war mit Brettern und Ketten verschlossen.
Doch nun nicht mehr. Bei seiner ersten Erkundung der Umgebung, noch vor der Abreise ihrer Eltern, war die Mine gesichert gewesen. Nun klaffte dort ein dunkles gähnendes Loch. Monique hatte ihre Hausaufgaben gemacht – genau damit würde sie Chloe am meisten Angst einjagen.
Sie unternahmen keine Anstrengungen, sich leise fortzubewegen. Die beiden Männer unterhielten sich in irgendeiner slawischen Sprache – wahrscheinlich Serbisch. Er verstand nur wenige Wort, und er betete zu Gott, dass Chloe bei Bewusstsein war, um es zu übersetzen. Sie schien jede Sprache dieser Welt zu verstehen.
Auch bei hellerem Licht war es noch immer schwierig, Monique wiederzuerkennen. Sie hatte ihren Kopf geschoren – ob aus modischen Erwägungen oder wegen einer Operation, wusste er nicht. Eine Hälfte ihres Gesichts war praktisch weg – sie hatten ihren Wangenknochen entfernen müssen, als sie die Kugel rausholten, und sie hatte nicht genug Zeit gehabt für eine plastische Operation. Sie sah aus wie das schaurige Gespenst ihres früheren Ichs – gefährlich dürr und gefährlich
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