Tod ist nur ein Wort
verbrachte wahrscheinlich eine wilde Zeit in den Armen ihres älteren Liebhabers.
Sie zog die Tür hinter sich zu, lehnte sich dagegen und atmete langsam aus. Eigentlich war sie gar nicht lange fort gewesen. Zwei Nächte, dies war die dritte, und Sylvia hatte sich für ein langes Wochenende verabschiedet. Kein Wunder, dass sie noch nicht wieder zurück war, und wahrscheinlich war es besser so.
Der Mond schien durch die Mansardenfenster, sodass Chloe sich in den unordentlichen Räumen orientieren konnte. Sie machte zuerst den Gasofen an und ließ dann das Badewasser ein. Die Wohnung war nie ein gutes Arrangement gewesen. Sie bestand aus einem Schlafzimmer – Sylvias –, einer kleinen Küche, einem noch kleineren Bad und dem unordentlichen Wohnzimmer. Chloe schlief auf einer Matratze im Flur, wobei sie sich standhaft weigerte, die Möglichkeit von Insekten oder Nagetieren in dem alten Gebäude überhaupt nur in Erwägung zu ziehen.
Sie öffnete die Tür zu Sylvias Zimmer und lugte hinein. Selbst in dem gedämpften Mondlicht konnte sie erkennen, dass es aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Sylvia musste alles durcheinandergeworfen haben, als sie den Koffer für Chloes besonderes Wochenende auf dem Land gepackt hatte. Sie würde nicht sehr erfreut sein, dass einige ihrer besten Kleidungsstücke verschwunden waren.
Doch das war nichts im Vergleich zu Chloes Zustand. So wie sie Sylvia kannte, konnte die erst in einer Woche wieder zurückkehren, und dann wäre Chloe schon lange fort. Wenn sie erst einmal in den Staaten war, würde sie ihr ihren Mietanteil überweisen, bis Sylvia Ersatz für sie gefunden hatte, und außerdem noch eine Extra-Summe, um die Kleidungsstücke zu ersetzen. Im Gegensatz zu Chloe hatte ihre Familie mehr Geld, als sie brauchte, und wahrscheinlich wären alle so froh über ihre Rückkehr, dass sie Sylvia genug Geld für die nächsten Monate überwiesen.
Sie schaute nicht in den Spiegel, als sie Bastiens Hemd und Hose auszog. Sie stieg in die altmodische Badewanne und war auf stechenden Schmerz gefasst, doch stattdessen umfing sie das heiße Wasser wie eine Umarmung. Mit einem wohligen Stöhnen schloss sie die Augen und fühlte zum ersten Mal in diesem endlos scheinenden Albtraum so etwas wie Frieden.
Doch allmählich kühlte das Wasser ab, und sie musste sich dem Leben wieder stellen. Sie stieg aus der Badewanne und erhaschte im Spiegel einen Blick auf ihren Körper. Sie erstarrte und betrachtete überrascht ihr Spiegelbild.
Die scharfe grüne Salbe hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Wunden waren noch zu sehen, die Verbrennungen und die Schnitte, doch sie wirkten, als ob sie Monate alt wären, wie eine entfernte Erinnerung. An ihren Hüften entdeckte sie dunkle Flecken, und als sie näher hinsah, konnte sie die schwachen Abdrücke seiner Hände ausmachen, wo er sie festgehalten hatte. Bastien. Nur zu passend, dass diese Male blieben, während der Rest heilte.
Sie schlang ein Handtuch um sich. Ihr feuchtes Haar sah furchtbar aus und konnte nicht auf Sylvias ungewisse Rückkehr warten. Sie hatte keine andere Wahl, als sich selber darum zu kümmern. Mit einer Schere bearbeitete sie ihre Haare und ließ die unterschiedlich langen Strähnen ins Waschbecken fallen.
Sie hatte auf eine Verwandlung wie im Film gehofft, wo die langweilige bebrillte Sekretärin ihre Haare mit der Nagelschere schneidet und danach aussieht wie Audrey Hepburn. Doch ganz so war es leider nicht. Sie ließ die Schere sinken, bevor sie zu viel abschnitt – vielleicht würde es trocken besser aussehen. Der Friseur ihrer Mutter würde die Hände zusammenschlagen und sich über ihre Haare hermachen. Nur noch wenige Tage, und sie sähe nicht länger aus wie eine ersäufte Katze.
Das Wohnzimmer war mittlerweile warm, doch die Luft war noch immer stickig, sodass sie das Fenster einen Spalt öffnete. Sie suchte in ihrer Kleidung nach dem wärmsten Nachthemd, einem altmodischen Flanellnachthemd, über das sich Sylvia immer lustig machte. Doch heute Nacht war niemand da, der sie aufziehen konnte, und sie brauchte die tröstliche Wärme des weichen anschmiegsamen Stoffes.
Zu essen gab es nichts außer Frühstücksflocken und Käse. Sie aß im Dunkeln zwei Schüsseln Weetabix, spülte sie mit einem Glas Wein hinunter und kroch unter die Bettdecke auf ihrer dünnen Matratze. Heute Nacht konnten die Ratten scharenweise über sie laufen, und sie würde sich nicht bewegen. Sie wollte nur noch schlafen.
Und genau das tat
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