Tod ist nur ein Wort
aus. Zu schade, dass ihn das immer noch nicht kümmerte. Es spielte keine Rolle, für wen Fernand arbeitete und warum. Er hatte Verbindungen zu einem halben Dutzend Leute, die Bastien tot sehen wollten.
Fernand beendete das Gespräch, sah sich ein letztes Mal um und spuckte aus, bevor er in die Bar zurückkehrte. Bastien fragte sich, wie lange es dauern mochte, bis die Verstärkung eintraf.
Es war nicht wichtig – er wäre längst weg, wenn Fernands mysteriöse Landsmänner auftauchten. Es würde nicht lange dauern, das Apartment zu durchsuchen. Und falls er nicht wirklich Todessehnsucht hatte, würde er sich danach in sein Haus in St.-Germain-des-Prés begeben und sich wieder in Bastien Toussaint verwandeln. Und die kleine Miss Chloe musste dann für sich selbst sorgen.
Sylvia und Chloe bewohnten ein winziges Apartment im obersten Stockwerk eines alten Hauses in einer der ärmlicheren Straßen des Marais’. Das Erdgeschoss war an einen Tabakwarenhändler vermietet, im ersten Stock wohnte ein älteres Ehepaar, das sich meistens auf Reisen befand, und in der obersten Etage waren Abstellräume und ihr kleines Apartment untergebracht. Das ganze Haus war dunkel, als Chloe endlich um die Ecke bog. Ihr Haar war feucht vom Schnee, und die verbrannten Strähnen rochen unangenehm. Als Erstes würde sie ein Bad nehmen und sich von oben bis unten abschrubben, auch die mit der Paste bestrichenen Stellen. Es war mehr als vier Stunden her, dass er sie damit behandelt hatte. Mehr als vier Stunden, seit es ihr gelungen war, das Hotel unbemerkt zu verlassen. Sie hatte sich so eng in den Mantel eingemummelt, dass man sie vielleicht für Bastien gehalten hatte. Nur war es unmöglich, seinen Gang zu imitieren, für sie wie für jeden anderen.
Vielleicht würde sie sich in zwanzig Jahren an ihn erinnern und sich fragen, was für ein Anfall von Geisteskrankheit sie überkommen hatte. Ihr gefiel der Gedanke, dass man sie unter Drogen gesetzt hatte – Hauptsache, die Verantwortung lastete nicht auf ihren Schultern. Doch sie wusste es besser. Ja, sie hatte sich in einem anderen Bewusstseinszustand befunden, doch das hatte nichts mit Drogen zu tun gehabt, sondern ausschließlich mit … Herrje, sie wusste nicht einmal ansatzweise, was sie zu ihrem Handeln veranlasst hatte. Sie hatte sich gelangweilt, sich nach Romantik und Abenteuer gesehnt. Nein, eigentlich hatte sie sich nach Sex & Crime gesehnt, und genau das hatte sie bekommen. Sei vorsichtig mit deinen Wünschen – war das nicht eine chinesische Weisheit? Oder hieß es: “Mögest du in interessanten Zeiten leben”? Egal – in diesem Moment verlangte es sie nur nach einem langen Bad und einem warmen Bett. Und morgen würde sie nach Hause fliegen, in die liebenden beschützenden Arme ihrer Familie und zu so viel Langeweile, wie man sich nur wünschen konnte.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie keinen Schlüssel hatte. Nicht zum Haus, nicht zum Apartment. Fast hätte sie vor Verzweiflung aufgeschrien. Ihre Füße taten weh, ihr Haar roch nach nassem Hund, ihr ganzer Körper schmerzte, und obwohl ihr Magen völlig leer war, hatte sie das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Und sie fror, sogar in dem weichen Kaschmirstoff.
Sie konnte zur Polizei gehen, doch dort würde man ihr Fragen stellen, die sie nicht beantworten wollte. Sie konnte zur amerikanischen Botschaft gehen, doch die lag fast zwei Kilometer in der anderen Richtung, und sie fühlte sich nicht in der Lage, noch einen weiteren Schritt zu gehen.
Doch sie hatte Glück. Die Haustür war unverschlossen wie so oft. Sylvia gab sich normalerweise nicht mit so etwas Lästigem ab, und in den letzten Tagen war außer ihr niemand da gewesen. Sie betrat das dunkle kalte Treppenhaus und wollte zum Lichtschalter greifen.
Und zog die Hand wieder zurück. Es war sehr dunkel, doch sie kannte ihren Weg nach oben, und es gab keinen Grund, auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Es schien zwar höchst unwahrscheinlich, dass irgendjemand ihre Adresse kannte, doch Bastien hatte sie verunsichert. Wenn sie sich wie ein stiller Geist ihren Weg durch die Dunkelheit bahnte, konnte sie einigermaßen sicher sein, dass sie niemand entdecken würde.
Die Wohnungstür war abgesperrt, doch Sylvia hielt immer einen Schlüssel auf dem Fenstersims im Treppenhaus versteckt. Nur für den Fall, dass sie ihren Schlüssel verlor, was ihr regelmäßig gelang. Chloe schloss die Tür auf, und kalte Luft schlug ihr entgegen. Sylvia musste fort sein und
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