Tod ist nur ein Wort
war völlig ahnungslos. Er fuhr hinunter in die dunkle Tiefgarage und hielt direkt vor dem Fahrstuhl. Er stieg sogar aus, um Bastien mit Chloes schlaffem Körper behilflich zu sein. Er wusste nicht einmal, was es war, das ihn am Kopf traf.
Es wäre besser gewesen, ihn umzubringen. Seine Kehle durchzuschneiden und ihn in der kleinen Nische hinter dem Fahrstuhl zu verstecken, wo ihn tagelang niemand finden würde. Chloe wäre bis dahin längst fort, und Bastien würde es nicht kümmern.
Doch in der letzten Sekunde erinnerte sich Bastien an die vier Kinder und die Frau mit der Figur eines Wasserbüffels und fühlte aus irgendeinem Grund Mitleid. Wahrscheinlich war es nur Trotz – man hatte ihn zu einem Mann gemacht, der ohne Gewissen tötete, und nun wollte er das Gegenteil von dem tun, wozu man ihn gedrillt hatte.
Der Fahrer hatte eine Rolle Klebeband im Kofferraum seines Wagens – das rettete ihm das Leben. Bastien fesselte ihn sorgfältig damit und stopfte dem Mann sein Taschentuch in den Mund, bevor er ihn verklebte. Früher oder später würde man ihn finden – im günstigsten Fall hatte er etwa sechs Stunden, vielleicht mehr. Chloe lag noch immer im Fond des Taxis, und er schloss die Tür und setzte sich auf den Fahrersitz. Er schaltete die “
Pas de Service”-
Anzeige ein und fuhr hinaus in das morgendliche Sonnenlicht – ein Taxifahrer, der nach einer langen Nacht den Heimweg antritt.
Sein Verhalten war ein weiteres Indiz dafür, dass sein Verfallsdatum überschritten war, dachte Bastien. Mitleid war eine Schwäche, die sich ein Agent nicht leisten konnte. Er blickte nach hinten. Chloe saß zusammengekrümmt auf dem Rücksitz und hatte seinen Mantel eng um sich geschlungen, ihre Augen starrten ins Leere. Früher oder später würde der Schock nachlassen und sie würde anfangen, hysterisch zu weinen. Er musste sie an einen sicheren Ort bringen, bevor es so weit war.
Er konnte sie frühestens am Abend in ein Flugzeug setzen. Er überlegte kurz, sie zu einem kleineren Flughafen wie Tours zu bringen, verwarf die Idee jedoch. Sie würden alle Flughäfen überwachen – seine Chancen standen besser am Airport Charles de Gaulle, wo er über ein paar Verbindungen verfügte, von denen selbst Thomason und die anderen nichts wussten.
Er fand das Haus recht leicht, fuhr aber erst gute zwanzig Minuten in der Gegend herum, um zu überprüfen, ob es überwacht wurde. Sie hatten das Haus nicht mehr benutzt, seit es vor einigen Jahren als Unterschlupf aufgeflogen war. Bevor das Komitee es irgendwann überprüfte, würde man sicherlich zuerst die aktuellen Verstecke kontrollieren. Wieder ein paar Stunden kostbaren Zeitgewinns.
Soweit er es beurteilen konnte, wurde das Haus nicht beobachtet. Es handelte sich um eine große alte Villa in den äußeren Grenzbezirken von Paris, die seit den 50er-Jahren leer stand. Sie befand sich auf einem Filetgrundstück, und es grenzte an ein Wunder, dass noch niemand nach den Eigentümern geforscht hatte. Laut Papier gehörte die Villa der Familie einer alten Dame, deren Besitzverhältnisse so kompliziert waren, dass sie nie geklärt werden konnten. Tatsächlich hatte dort einst ein Kollaborateur gewohnt, der Dachboden war vollgestopft gewesen mit der Beute aus Plünderungen. Dieser Schatz war Teil der Kriegskasse des Komitees – wem auch immer die unbezahlbaren Kunstschätze und Schmuckstücke gehört hatten, er lebte nicht mehr.
Die Villa hatte außerdem eine Geheimkammer, wo sich der Besitzer drei Wochen lang versteckt hielt, nachdem die Alliierten Paris befreit hatten. Bastien hatte selbst schon mehrere Tage in dem Raum verbracht, und es war der sicherste Ort, den er kannte. Er hatte in den letzten Tagen wenig geschlafen, und er brauchte ein oder zwei Stunden Ruhe, damit sein Geist wieder klar wurde. Damit er wieder die richtigen Entscheidungen traf, statt aus dummer Sentimentalität zu handeln.
Er fuhr die enge Auffahrt hinauf, die hinter das Haus führte, schloss das abgesackte Holztor hinter ihnen und parkte das Taxi dicht neben einigen Büschen, in der Hoffnung, dass es dort von einem Hubschrauber aus übersehen würde.
Er zog Chloe vom Rücksitz, die ihm wie ein Roboter folgte. Es wäre schön, wenn er sich darauf verlassen könnte, dass dieser Zustand die nächsten Stunden anhielt, doch er hatte schon mehr Glück gehabt, als ihm zustand. Er führte sie durch die verlassene Villa, die verschmutzten Treppen hinauf, an zerbrochenen Fenstern und ausrangierten Möbeln vorbei
Weitere Kostenlose Bücher