Tod ist nur ein Wort
bis zum Dachboden im dritten Stock. Ihre Benommenheit hielt genau so lange an, bis er auf den versteckten Knopf neben dem Schornstein drückte und sich die Tür zu der geheimen Kammer öffnete.
Er war nicht vorbereitet auf ihre Reaktion. Ihr willenloser Gehorsam schlug in totale Panik um, sie trat nach ihm, schrie, wollte weglaufen …
Es gibt viele Möglichkeiten, einen Menschen zum Schweigen zu bringen, ihn in Bewusstlosigkeit zu versetzen. Hätte er eher gewusst, dass sie ausflippen würde, hätte er sanfter vorgehen können, doch nun hatte er keine andere Wahl, als ihr einen Schwinger zu versetzen, damit sie zu Boden ging.
Er fing sie auf, zog sie in den winzigen Raum und schloss die Tür hinter ihnen. Um sie herum herrschte Dunkelheit, doch er kannte die Kammer recht gut. Der Rest der Villa verfügte nicht über Elektrizität, doch dieser winzige Raum war einst gut verkabelt worden. Er würde es nicht ausprobieren – er würde nichts tun, was ihre Anwesenheit verraten konnte. Er hob sie hoch und trug sie auf das Bett, das an der Wand stand, wobei er ihre Füße höher lagerte und seinen Mantel enger um sie zog. Es gab nur ein Fenster oben in der Dachschräge, doch es war schwarz verklebt, sodass kein Licht hindurchfiel.
Sie würde noch mindestens eine Stunde bewusstlos sein, vielleicht länger. Er blickte auf die Leuchtziffern seiner Uhr, die einzige Lichtquelle in der totalen Schwärze. Es war gerade kurz nach acht, und er hatte seit achtundvierzig Stunden nicht geschlafen. In den nächsten zwölf Stunden schien es wenig sinnvoll, zum Flughafen zu fahren. Und jede Stunde Schlaf war wichtig.
Das Bett war schmal, und er wollte sie keinesfalls stören. Außerdem hatte er schon unbequemer geschlafen. Er nahm eine der dünnen Wolldecken vom Bett, deckte Chloe mit der anderen zu und streckte sich auf dem harten Holzfußboden aus. Sein Körper schmerzte – mit zweiunddreißig fühlte er sich alt. Für das Komitee zu arbeiten war nur etwas für jüngere Männer – der Job ließ einen vorzeitig altern.
Er schloss die Augen, um sofort einzuschlafen. Doch so wie sich sein Geist gegen das Komitee auflehnte, lehnte sich sein Körper gegen das Training auf. Fünf Minuten lang lag er da, starrte in die Dunkelheit, lauschte Chloes Atem und fragte sich, was zum Teufel er da tat.
Dann schlief er ein.
Sie war gefangen. Wurde erstickt von einer Dunkelheit, deren Gewicht sie niederdrückte und die ihr Sicht und Atem nahm, wurde erstickt von der Dunkelheit und dem Geruch des Blutes überall, und sie sah Sylvia vor sich, wie sie in einer dunkelroten Lache aus Blut lag, mit durchgeschnittener Kehle, den Blick ins Leere gerichtet, in ihrem Lieblingskleid, das sich voller Blut gesogen hatte. Das hätte sie wütend gemacht. Sie hatte das Kleid so sehr geliebt, dass sie darin hätte begraben werden wollen. Er hatte ihr die Kehle durchgeschnitten – der Mann hatte ihr die
Kehle durchgeschnitten.
Der gleiche Mann, der gesagt hatte, er würde sie töten, wenn nötig? Und sie hatte sich von ihm blindlings in diese Finsternis bringen lassen, wo sie nichts sehen konnte, nicht denken, nicht atmen, wo sie nur den Mund öffnen konnte, um zu schreien …
Er fing sie auf, als sie vom Bett stürzte, und schlang seine Arme mit eisernem Griff um ihren Körper. Sie wehrte sich wie eine Verrückte, doch er war stärker. Er legte ihr eine Hand auf den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen, und sie biss so fest zu, wie sie konnte, schlug ihre Zähne in seine Hand, bis sie Blut schmeckte, doch er lockerte seinen Griff nicht.
“Wenn du dich nicht beruhigst, muss ich dir das Genick brechen”, flüsterte er ihr ins Ohr, als er sie an sich presste. “Ich habe es allmählich satt mit dir.”
Sie wehrte sich noch, aber nicht mehr so heftig, und er gab ihren Mund so weit frei, dass sie sprechen konnte. Es gelang ihr kaum, die Worte rauszupressen.
“Ich … kann … nicht atmen …”, flüsterte sie. “Es ist zu dunkel. Ich … halte das … nicht aus. Bitte …” Sie wusste selbst nicht, worum sie bat, und sie hätte auch nicht geglaubt, dass es etwas nützen würde, doch plötzlich zog er sie hoch, sodass sie beide auf dem Bett standen, und stieß mit einem Arm das Dachfenster auf.
Die Luft war kühl und klar und rein, und sie sog sie in tiefen Atemzügen ein, wie eine Verdurstende in der Wüste Wasser trinkt. Allmählich beruhigte sich ihr Herzschlag, ihr Atem wurde gleichmäßiger und sie blickte über die Dächer von Paris, während sie
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