Tod ist nur ein Wort
Genau das demonstrierte sie jetzt, streckte sich dann auf dem schmalen Bett aus und starrte unverwandt in das Kerzenlicht, während er sie beobachtete.
Sie hatte nicht die geringste Idee, woran er dachte. Wahrscheinlich daran, wie lästig sie war. Dass er Hakim sein Werk hätte beenden lassen sollen oder dass er sie selbst hätte umbringen sollen, als sie anfing, Ärger zu machen. Doch das hatte er nicht getan, und nun war sie ein Klotz am Bein.
Er blies alle Kerzen bis auf eine aus und streckte sich dann auf dem Boden aus. Dem harten kalten Boden – sie meinte, ihn an ihren nackten Füßen fast spüren zu können.
“Du musst nicht dort unten schlafen”, sagte sie unvermittelt, bevor sie den Impuls bereuen konnte. “Das Bett reicht für uns beide.”
“Schlaf, Chloe.”
“Ich weiß sehr gut, dass du keinerlei sexuelles Interesse an mir hast, Gott sei Dank. Was gestern passiert ist, war eine Verirrung …”
“Vorgestern”, verbesserte er kühl. “Und es gehörte zu meinem Job.”
Obwohl sie das gewusst hatte, brachte sie seine Antwort zumindest für einen Moment zum Schweigen. Sie atmete tief ein. “Also spricht offenbar nichts dagegen, dass wir uns ein Bett teilen. Du wirst mich nicht anrühren. Das Zimmer ist kalt, und uns beiden wäre wesentlich wärmer, wenn du hier oben schliefest.”
Durch die Schatten, die die flackernde Kerze warf, konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. Vermutlich war er genervt. “Um Gottes willen”, murmelte er, “würdest du bitte mit dem Geplapper aufhören? Vielleicht hast du genug geschlafen, aber ich hatte nur eine Stunde Schlaf in den letzten drei Tagen. Ich bin auch nur ein Mensch.”
“Das bezweifle ich”, murrte sie. “Wie du willst.” Sie wandte sich gekränkt von ihm ab und starrte auf die rissige fleckige Wand.
“
Merde”
, fluchte er. Er stand auf, blies die Kerze aus und legte sich zu ihr ins Bett. “Das Bett ist zu schmal, um dich nicht anzufassen”, sagte er mürrisch.
Wohl wahr. Sie fühlte an ihrem Rücken, wie sich sein Körper an sie schmiegte. Wenn jemand sie überfiel, wäre er in der Schusslinie. Sie redete sich ein, dass dies der einzige Grund war, warum sie ihn dort haben wollte. Der einzige Grund, warum sie sich plötzlich warm und geborgen fühlte und sich entspannen konnte. Es war alles nur eine Frage des Überlebens.
“Ich kann damit leben”, erwiderte sie. “Aber wenn du denkst, dass ich …” Seine Hand auf ihrem Mund unterbrach sie mitten im Satz. Sie konnte beinahe den Birnensaft an seinen Fingern schmecken, ein unglaublich verführerisches Aroma. Sie musste wohl noch hungrig sein. Doch nichts auf der Welt würde sie dazu bringen, eine der Blutorangen zu essen.
“Halt den Mund”, flüsterte er ihr ins Ohr, “oder ich fessle und kneble dich und lege
dich
auf den Boden. Verstanden?”
Sie nickte, soweit es ihr mit seiner Hand auf ihrem Mund möglich war, und er zog sie langsam zurück. Sie wollte ihm sagen, dass sie sich das mit dem Bett nun anders überlegt hatte, aber wahrscheinlich würde er sie tatsächlich auf den harten Boden werfen, wenn sie noch ein Wort sagte.
Er hielt seinen warmen Körper dicht an sie gepresst, ein wunderbares Gefühl. Obwohl sie verärgert war, konnte sie doch spüren, wie sich eine wohlige Mattigkeit in ihr ausbreitete. Vielleicht konnte sie doch noch ein wenig schlafen, dachte sie, mit dem Wein und der Wärme und dem nicht abzuleugnenden Gefühl der Sicherheit, das sein Körper ihr vermittelte. Nicht, dass sie das wollte – sie wollte wach bleiben, einfach um ihn zu ärgern.
Wie wollte er sie heil aus Paris herausbringen? Je länger sie hierblieb, desto gefährlicher wurde es, desto wahrscheinlicher wurde es, dass jemand sie aufspürte. Sollte sie lieber über die Grenze fahren und vielleicht von Frankfurt oder Zürich abfliegen?
Und wie zum Teufel sollte sie das tun, wo doch ihr Pass im Château lag? Und irgendjemand musste inzwischen die arme Sylvia entdeckt haben. Sicherlich hatte man die Polizei benachrichtigt, die dann das Apartment durchsucht und auch ihre Habseligkeiten gefunden hatte. Was bedeutete, dass die Polizei ebenfalls hinter ihr her war.
Das konnte nur gut sein. Selbst wenn die Polizei davon ausging, dass sie Sylvia umgebracht hatte, würde sie lieber in ein französisches Gefängnis gehen, als um ihr Leben zu rennen und dabei von einem dubiosen Mann abhängig zu sein.
Irgendwie schien über allen Ereignissen ein Schleier zu liegen, als ob sie nicht wirklich
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