Tod ist nur ein Wort
hochgegangen, wenn sie allein in totaler Dunkelheit aufgewacht wäre.
Er hatte recht, sie gehörte nicht gerade zu den komplexbeladenen Menschen. Eigentlich hatte sie geglaubt, dass sie seit Jahren darüber hinweg wäre. Sie hatte kein Problem an vertrauten Orten, in Fahrstühlen oder dunklen Kellern.
Sie hatte damals selbst Schuld gehabt. Sie war acht Jahre alt gewesen und immer ihren älteren Brüdern nachgelaufen, hatte tun wollen, was die älteren Kinder taten, und ihre Grenzen ignoriert. Die Minen waren verbotenes Gelände, sogar für die älteren Brüder, doch kein Teenager, der etwas auf sich hielt, nahm solche Warnungen ernst. Allerdings hätten sich ihre Brüder gehütet, die kleine Schwester in ein solch riskantes Abenteuer mit hineinzuziehen, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihnen heimlich zu folgen. Eine falsche Abzweigung, und sie hatte sie in dem unterirdischen Wirrwarr von Gängen verloren.
Ihre Brüder hatten nicht gewusst, dass sie ihnen gefolgt war, und niemand bemerkte in den nächsten Stunden ihr Fehlen. Ihre Taschenlampe war ausgegangen und sie war gefangen in der Dunkelheit, mitten in Miller’s Mountain, wo die Zeit endlos schien und sie aus jeder Ecke Monster anstarrten. Als der Suchtrupp sie fand, hatte sie neunzehn Stunden in der Dunkelheit verbracht. Erst zwei Wochen nach der Tortur sprach sie zum ersten Mal wieder.
Ihr Vater witzelte immer, dass sie danach nie wieder aufgehört hätte zu reden. Sie hatte eine sehr verständnisvolle Familie, die sie direkt zu den besten Therapeuten brachte, und mit zwölf konnte sie endlich wieder ohne Licht schlafen. Mit fünfzehn war sie wieder in der Lage, in den Keller zu gehen, und als sie das College verließ, glaubte sie, das alles hinter sich gelassen zu haben. Bis gestern.
Wahrscheinlich war es die Anhäufung von Panikattacken gewesen, die sie plötzlich wieder schwach und verwundbar machte. Das akzeptierte sie ebenso zähneknirschend wie die Tatsache, dass sie Bastiens Hilfe brauchte. Vielleicht würde sie ihm das sogar sagen, wenn er je wieder seinen knackigen Hintern in diesen Raum bewegte.
Nicht, dass sie sich auf seinen Hintern konzentriert hätte. Aber sie hatte gestern im Apartment wohl oder übel einen Blick auf seinen Körper werfen können. Er war groß und schlank und muskulös.
Doch sie würde nicht weiter darüber nachdenken, auch wenn sie dankbar sein sollte für die Ablenkung. Letztlich aber war ihr die Vorstellung, mit Monstern in einem engen Raum eingesperrt zu sein, lieber, als an den nackten Körper von Bastien Toussaint oder wer er auch sein mochte zu denken.
Sie hörte ihn nicht einmal kommen. Sie wusste nicht, ob der Raum schalldicht oder er einfach nur sehr leise war, jedenfalls saß sie im Schneidersitz auf dem Bett, starrte unverwandt auf den kleinen Lichtkegel der Taschenlampe und versuchte, nicht an ihn zu denken, als die Tür aufglitt und er vor ihr stand.
“Geht es dir gut?”, fragte er, während er die Tür zuschob.
Sie atmete tief ein und versuchte, gleichgültig zu klingen.
“Ja, danke, es geht mir gut. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, aber sollten wir nicht langsam zum Flughafen?”
Er sagte nichts. Sie sah die Flamme, und kurz darauf hatte er Kerzen angezündet, die sie in der Dunkelheit gar nicht bemerkt hatte. “Du wirst heute Abend nicht fliegen.”
Der Knoten in ihrem Magen machte sich bemerkbar. “Warum nicht?”
“Der Flughafen ist geschlossen. Wie das meiste in Paris. Der Schnee hat sämtlichen Verkehr zum Erliegen gebracht. Darum können wir auch Kerzen anzünden. Der Schnee …” Er hielt inne.
“Schon in Ordnung. Das Fenster ist zugeschneit, nicht wahr? Ich fühle mich jetzt ruhiger. Vor allem mit dem Licht.”
Er nickte. Er hatte es geschafft, irgendwo eine Jacke aufzutreiben, und sie nahm an, dass er seine Kleidung gewechselt hatte, auch wenn er immer noch das unvermeidliche Schwarz trug. Was sie daran erinnerte, dass …
“Ich schätze, hier gibt es kein Badezimmer?”, fragte sie. “Sonst muss ich’s wohl mit dem Schnee probieren.”
“Doch, es gibt eins. Wenn auch ein sehr einfaches.”
Sie stand auf, noch bevor er ausgesprochen hatte. “Wo?” Nun, da sie wusste, dass Erleichterung nahte, war ihr Bedürfnis wesentlich dringender.
“Im Stockwerk unter uns, direkt unter diesem Zimmer. Wir müssen ohne die Lampe runtergehen – wir dürfen nicht riskieren, dass jemand das Licht sieht.”
Sie schluckte. Es ging ihr jetzt besser, sprach sie sich
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