Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Honig mit. Mögen Sie Honig?»
«Doch, sehr gerne, vielen Dank.» Langsam beschlichen ihn Zweifel am Geisteszustand des pensionierten Kriminalers.
Gamper hüstelte. «Entschuldigen Sie die Abschweifung. Das ist eine Angewohnheit von mir. Andere Gedanken durchlüften den Kopf, das hat früher schon meine Mitarbeiter irritiert. Zu ihrem Zettel mit der Warnung: Den hätten wir mal vor zehn Jahren haben sollen, dann hätten wir weiterermittelt. Aber heute interessiert sich kein Schwein mehr dafür, da können Sie sicher sein. Die Ermittlungsbehörden in Südtirol sind chronisch unterbesetzt, Sparmaßnahmen aus Rom, Sie verstehen? Die jungen Leute haben keine Ahnung. Uns alte, erfahrene Füchse hat man in den Vorruhestand geschickt. Abgesehen davon sind zehn Jahre einfach zu lange. Da geht nix mehr. Aber vielleicht kriegen Sie was raus? Ich helfe Ihnen gerne, aber ich wüsste nicht, wie.»
«Wie ist Niki eigentlich zum Ausgangspunkt seiner Wanderung gelangt?», fragte Emilio.
«Keine Ahnung.»
«Hat man sein Auto gefunden?»
«Nein, das stand zu Hause in der Garage.»
«Das lässt vermuten, dass er bei jemandem mitgefahren ist. Was bedeutet, er war nicht alleine.»
«Muss nicht sein, es gibt auch einen Bus, ist aber umständlich, mit Umsteigen und so.»
«Würden Sie das machen, wenn Sie ein Auto hätten?»
«Nein, würde ich nicht. Außerdem hatte er einen Porsche. Wer fährt da mit dem Bus?» Gamper dachte nach. «Es könnte ihn auch jemand mitgenommen und dort rausgelassen haben», sagte er, «vielleicht wollte er eine Rundtour machen, da kommt man nicht an den Ausgangspunkt der Wanderung zurück. So was ist sehr reizvoll. Dafür kann man kein Auto brauchen.»
Emilio nickte. «Richtig, das wäre eine Erklärung. Nur komisch, dass sich nach dem Leichenfund keiner gemeldet hat, der ihn mitgenommen hat.»
Gamper zuckte mit den Schultern. «So sind sie, die Menschen. Die einen machen sich wichtig, die anderen halten das Maul.»
«Hatte der Tote einen Autoschlüssel in der Tasche?»
Der Kriminaler überlegte. «Nein, ich glaube nicht.» Er blätterte im Untersuchungsbericht. «Korrekt, kein Autoschlüssel.»
«Wie viele Autoschlüssel hat man bei ihm zu Hause gefunden?»
«Weiß ich nicht. Wird schon einer da gewesen sein.»
«Einer wäre zu wenig», stellte Emilio fest. «Man bekommt für ein Auto immer zwei Schlüssel. Daran wird doch nicht gerade Porsche sparen.»
«Und Sie meinen …»
«Ich meine gar nichts. Aber es wäre auch folgendes Szenario denkbar. Jemand hat ihm am Gipfel aufgelauert, hat ihn niedergeschlagen, im Streit oder vorsätzlich, hat ihn dann den Berg runtergeworfen. Damit man nicht gleich den verlassenen Porsche findet und mit der Suche beginnt, musste der Täter Nikis Auto wegfahren. Deshalb hat er ihm vorher den Autoschlüssel aus der Tasche genommen, ist mit dem Porsche zurückgefahren und hat ihn in Nikis Garage gestellt.»
«Wie ist er in die Garage gekommen?»
«Per Fernsteuerung.» Emilio machte eine Pause. «Ich gehe davon aus, dass man bei Nikis Leiche seinen Wohnungsschlüssel gefunden hat, richtig?»
Gamper schaute ihn überrascht an, blätterte in den Unterlagen, sah auf den Zetteln mit seinen Notizen nach. «Das darf doch nicht wahr sein», murmelte er. Er fuhr mit dem Finger die Asservatenliste entlang. «Geldbeutel, Armbanduhr, Sonnenbrille …»
«Kein Wohnungsschlüssel?»
«Jedenfalls steht keiner auf der Liste, ich versteh’s nicht. Hat man wahrscheinlich vergessen zu notieren. Die übliche Schlamperei. So wird’s sein.»
«Oder er hatte wirklich keinen Wohnungsschlüssel bei sich. Das wäre allerdings sehr bemerkenswert. Möglicherweise hat aber auch jemand den Auto- und den Wohnungsschlüssel an sich genommen.»
«Glaube ich nicht. Der Tote hatte bestimmt einen Wohnungsschlüssel bei sich.»
«Steht was in Ihrem Protokoll, ob die Wohnung in einem ordnungsgemäßen Zustand vorgefunden wurde? Also nicht durchwühlt oder verwüstet.»
Der Kriminalrat im Ruhestand schien für einen Augenblick die Geduld zu verlieren. «Also, ich bitte Sie, da muss ich nicht im Protokoll nachschauen. Natürlich war mit der Wohnung alles in Ordnung. Wir sind doch nicht auf den Kopf gefallen.»
«Entschuldigung, war nicht so gemeint.»
Emilio spielte mit dem silbernen Knauf seines Gehstocks.
«Es gibt noch eine andere offene Frage», sagte er nach einer Weile.
«Welche?»
«Wie ist ein möglicher Täter zum Ausgangspunkt der Bergwanderung gekommen? Hat er später auch
Weitere Kostenlose Bücher