Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
noch sein eigenes Auto abgeholt? Hatte er Komplizen? Oder ist er auf dem Weg zum Ausgangspunkt der Wanderung bei Niki mitgefahren?»
Gamper runzelte die Stirn. «Sie können ganz schön viele Fragen stellen. Leider bin ich im Ruhestand, oder Gott sei Dank. Aber ich bin gespannt, was Sie herausbekommen. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden. Derweil kümmere ich mich um meine Bienen.»
Sie tranken beide einen Schluck, sahen hinüber zum Lärchenwald und schwiegen.
«Darf ich Sie noch was fragen?»
«Natürlich», antwortete Luis Gamper.
«Was ist eigentlich aus seiner Vinothek geworden, gibt’s die noch?»
«Wollen Sie noch einen Vernatsch? Passt zum Thema.»
«Ein halbes Glas, danke, gerne.»
«Ich war letzte Woche in Bozen bei Buratti, um mir neue Wanderstiefel zu kaufen. Vorher habe ich bei Vögele ein Hirschragout gegessen …»
Emilio übte sich in Geduld.
«… mit Röstkartoffeln. Ach ja, und eine Gerstensuppe. Jedenfalls bin ich später zufällig bei der Vinothek vorbeigekommen, die mal dem Steirowitz gehört hat. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, es gibt sie noch. Aber fragen Sie mich nicht, wem sie gehört und wer sie führt. Keine Ahnung. Vielleicht hat seine Angestellte, mit der ich damals gesprochen habe, den Laden übernommen.»
Gamper sah auf einen Zettel. «Valerie Trafoier, eine extrem fesche Person. Fragen Sie doch mal in der Vinothek. Haben Sie die Adresse?»
Emilio nickte. «Ja, habe ich.» Er stand auf, schüttelte dem Kriminalrat die Hand und bedankte sich für das Gespräch und den Wein.
«Der Honig, Sie dürfen den Honig nicht vergessen!»
***
Eine halbe Stunde später stand Emilio mit dem Auto in einer Wiese. Es war eine der besonderen Vorzüge seines Land Rovers, dass man sich nicht unbedingt an die vorgegebene Straßenführung halten musste. Der Baron dachte über das vorangegangene Gespräch nach, über die theoretischen und praktischen Möglichkeiten im Zusammenhang mit Nikis Ableben. Er merkte, wie er zunehmend die Konzentration verlor, seine Gedanken schweiften ab. Spontan änderte er sein Programm für den Nachmittag. Kein Patscheiderhof und keine Buschenschank Baumann. Weder Spinatknödel noch Schlutzkrapfen. Aus Gründen, die nur ihn etwas angingen, würde er die kleine Straße Richtung Barbian nehmen, am Penzlhof parken, von dort den Kreuzweg hinaufgehen zur kleinen Kirche Sankt Verena, die man von der Brennerautobahn auf dem Weg nach Süden sieht, hoch oben am Berg. Dort würde er stumm verweilen, an frühere, glückliche Zeiten denken und an seine große Liebe.
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Obwohl das Wetter schön war, kaum eine Wolke den Himmel über Terlan trübte und eine angenehme Brise durch das Tal strich, hielt sich Ernst Steixner nicht auf der Terrasse seiner Villa auf. Er verschmähte die Sitzbank, von der man einen wunderbaren Blick auf die Etsch hatte und auf die umliegenden Weinberge, die einen so vorzüglichen Weißwein hervorbrachten, dass internationale Kritiker regelmäßig ins Schwärmen gerieten. Steixner liebte die Weine der Kellerei Terlan, er konnte sich am Sauvignon Quarz berauschen, er hatte ein Faible für den Pinot bianco Vorberg, und zu später Stunde mochte er den roten Lagrein Porphyr. Er hätte Vorträge halten können über das einzigartige Terroir von Terlan, über die Bedeutung der Kellerarbeit und über die herausragenden Alterungseigenschaften ausgewählter Tropfen. Aber Steixner hatte Depressionen, in diesen Phasen konnte er den schönen Seiten des Lebens nichts abgewinnen.
Er saß im abgedunkelten Wohnzimmer, den schwermütigen Klavierklängen der Nocturnes von Chopin lauschend, gespielt von Artur Rubinstein. Er starrte vor sich hin, dachte an nichts Spezielles – und doch an alles gleichzeitig. Schon als Kind hatte er als Berufswunsch «Privatier» angegeben, ohne wirklich zu wissen, was das bedeutete. Aber ein Leben ohne Arbeit hatte er toll gefunden. Weil seine Familie sehr vermögend war, hatte er es schließlich auch führen können. Aber hatte es ihn glücklich gemacht? Nein, nicht wirklich, und in den letzten Jahren immer weniger. War das der Preis, den er für das Privileg der finanziellen Unabhängigkeit bezahlen musste? Gab es einen Pakt mit dem Gott der Finsternis, von dem er nichts wusste? Mit einem Mephisto wie in Goethes Faust? Fast schien es so. Aufgewachsen in Salzburg, lebte er schon seit über zwei Jahrzehnten die meiste Zeit des Jahres in Südtirol. Er hatte eine attraktive Frau gefunden, die ihn liebte,
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