Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
habe man den Tag des Unfalls auch in der Rückrechnung nicht exakt bestimmen können. Befragungen seiner Freunde und seiner Mutter hätten auch nicht weitergeholfen. Die Pathologie habe sich aufgrund des schlechten Zustands des Leichnams mit ihrer Beurteilung schwergetan, aber die multiplen Verletzungen könnten allesamt vom Absturz herrühren. Es habe keinen Hinweis auf eine zum Tode führende Fremdeinwirkung gegeben. Zeugen, die das Opfer womöglich am Berg gesehen hätten, habe es leider nicht gegeben. Der Berg werde von Touristen eher selten erwandert, obwohl der Weg nicht schwer und auch nicht gefährlich sei. Einzig am Gipfel müsse man Obacht geben, weil es unmittelbar hinter dem Kreuz steil nach unten ginge. Bei Befragungen im Umfeld des Opfers habe es keine Hinweise auf irgendwelche Bedrohungen oder persönliche Feinde mit einem Tatmotiv gegeben. Auch die Bergrettung habe einen unglücklichen Fehltritt für wahrscheinlich gehalten. Vielleicht habe der Wind ihm irgendetwas davongeweht, zum Beispiel eine Kappe oder einen Hut, Steirowitz habe versucht, danach zu greifen – und dabei unbedacht einen Schritt in die falsche Richtung getan. Ja, so hätte es passieren können, so oder so ähnlich. Jedenfalls habe man nach sorgfältiger Überprüfung aller Begleitumstände den beklagenswerten Absturz des Nikolaus Steirowitz als mutmaßlichen Unfall ohne Fremdeinwirkung deklariert und zu den Akten gelegt. Luis Gamper machte eine Pause und nahm einen Schluck Wein. Zweifel seien ihm erst später gekommen, sagte er dann.
Emilio, der zuvor eher schläfrig gewirkt hatte, war plötzlich hellwach und sah Gamper fragend an. «Zweifel?»
Der pensionierte Kriminalrat nickte. «In den Monaten vor seinem Tod hat Steirowitz plötzlich auf sehr großem Fuß gelebt, das habe ich erst danach erfahren. Er hat sich einen Porsche gekauft, hat auf den Seychellen Urlaub gemacht, teure Restaurantbesuche und so weiter. Das passt überhaupt nicht zu seinem früheren Lebensstandard. Ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Vinothek auf einen Schlag so viel abgeworfen hat, vielleicht aber doch, keine Ahnung. Jedenfalls gehen in meinem alten Kriminalerhirn bei solchen Auffälligkeiten die Alarmglocken an. Dann hatte er noch diese fixe Idee, von der habe ich auch nichts gewusst.»
«Was für eine fixe Idee?»
«Na ja, er wollte unbedingt ein Weingut kaufen und seinen eigenen Wein herstellen.»
«Es gibt schlimmere Wunschträume», sagte Emilio, «dafür wird man nicht umgebracht.»
«Nein, das wohl nicht. Aber bei diesem Traum gibt es zwei Probleme. Erstens ist es in Südtirol unglaublich schwer, Weinberge oder ein Weingut zu kaufen, die gibt keiner gerne her. Und zweitens kostet das richtig viel Geld.»
«Das Problem hat er nicht mehr, er ist tot.»
«Wohl wahr. Aber vielleicht war er an einem Objekt dran, für das sich auch ein anderer interessiert hat …»
«Und der hat ihn dann vom Berg gestoßen?» Emilio sah den Kommissar zweifelnd an. «Das wäre zwar denkbar, ist aber doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen.»
«Ich glaub’s ja selber nicht», sagte Gamper.
«Er könnte auch Selbstmord begangen haben», sagte Emilio, «weil er sauer war, dass ihm keiner einen Weinberg verkaufen wollte. So eine Art kindliche Trotzreaktion.»
«Das ist genauso absurd.»
«Richtig.»
«Damit hätten wir alle Optionen durch», sagte Gamper. «Es war eben doch ein Unfall.»
Emilio holte die zerknitterte Kopie eines Zettels aus seiner Gesäßtasche, strich sie glatt und zeigte sie dem Kriminalrat. «Das hat Frau Steirowitz vor kurzem in einem alten Sakko von Niki gefunden. Was halten Sie davon?», fragte er.
Gamper las den Text: «WARNUNG! Lieber Nikolaus. Man trachtet dir nach dem Leben. Pass gut auf dich auf! Jemand, der es gut mit dir meint.»
«Hoppla», sagte der Kriminaler.
«Genau, ‹hoppla› trifft es gut.»
«Jedenfalls verstehe ich jetzt, warum Sie sich für den Fall interessieren.»
«Nicht ich, aber die Mutter. Na ja, und deshalb auch ich.»
Gamper sah hinaus auf das Rittner Oberland, hinüber zu einem kleinen Lärchenwald. «Wussten Sie, dass hier früher die deutschen Kaiser durchgezogen sind, um sich in Rom vom Papst krönen zu lassen? Der Weg ging über den Ritten, das Eisacktal unten war zu gefährlich.»
«Sehr interessant», sagte Emilio, etwas verwirrt ob dieses spontanen Themenwechsels.
«Ich bin übrigens Hobby-Imker», fuhr Gamper fort, «für Bienen ist der Ritten ideal. Ich geb Ihnen ein Glas von meinem
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