Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
allerdings ungefähr auf dasselbe hinauskommt.» Jedenfalls war der Baron ausgesprochen unterhaltsam, auch wenn er nichts sagte, missbilligend anderen Menschen hinterhersah – oder sie einfach völlig ignorierte, als ob sie in seiner Welt nichts zu suchen hatten.
Phina sah hinauf zum Mond und bat den Erdtrabanten, ihr jetzt die Ruhe zu schenken, die sie brauchte. Dann ging sie zurück ins Schlafzimmer, zog die Vorhänge zu und legte sich im Bademantel aufs Bett. Kurz dachte sie noch an Emilio und daran, dass sie das nächste Mal weniger abweisend sein würde. Dann schlief sie ein.
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Es gab Menschen, die machten sich keine Sorgen um ihre Gesundheit, die hatten keine Angst, von einer plötzlichen Krankheit dahingerafft zu werden. Emilio gehörte nicht zu diesem ignoranten Personenkreis. Er registrierte mit großer Aufmerksamkeit alle Warnsignale, die sein Körper aussendete. Dass seine Frau ihn deshalb für einen Hypochonder gehalten hatte, war einer der vielen Gründe für ihre Trennung gewesen. Emilio fürchtete nicht den Tod, den sehnte er sogar gelegentlich herbei, aber der Gedanke an ein leidvolles Siechtum durch einen irreversiblen Krankheitsverlauf konnte ihn in Panik versetzen. An diesem Morgen war es wieder mal so weit. Nach einer Nacht, in der er ohnehin schlecht geschlafen hatte, war er mit bohrenden Schmerzen im Brustkorb aufgewacht. Sie strahlten aus in den linken Oberarm, der sich irgendwie taub anfühlte. Er kannte die typischen Symptome für einen Herzinfarkt. Er verspürte ein beklemmendes Gefühl im Brustbereich. Was machte sein Atem? Bekam er genug Luft? War ihm übel? Bestimmt hatte er eine fahle Gesichtsfarbe und kalten Schweiß auf der Stirn. Das fehlte noch, dass ihn ausgerechnet hier in Südtirol ein Herzinfarkt ereilte. Im günstigsten Fall war es ein Angina-pectoris-Anfall, eine Durchblutungsstörung des Herzens durch eine Stenose eines Herzkranzgefäßes. Über die Jahre hatte sich Emilio ein großes Maß an medizinischen Kenntnissen angeeignet. Das machte sein Leben nicht einfacher.
Er stand stöhnend auf, massierte seinen Brustkorb, dann den linken Arm. Sich im Spiegel betrachtend, stellte er fest, dass er gar nicht so ungesund aussah, wie er dachte. Auch schien sich sein Atem zu normalisieren. In den tauben Oberarm kehrte langsam das Gefühl zurück. Die Schmerzen in der Herzgegend ließen nach, verschwanden schließlich vollends. Nach einigem Nachdenken fand Emilio eine ebenso beruhigende wie logische Erklärung für seine Panikattacke. Vermutlich hatte er sich beim Schlafen in Seitenlage den linken Arm oder den Ellbogen so unglücklich gegen die Brust gepresst, dass es zu diesen irreführenden Symptomen gekommen war. Außerdem hatte er gestern Abend auf dem Zimmer noch eine Flasche Wein geköpft – die hatte sein Bewusstsein etwas eingenebelt. Er war sich mittlerweile sicher, dass ihm nichts fehlte. Noch mal Glück gehabt! Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es sieben am Morgen war. Das war nun wirklich keine Zeit, um aufzustehen. Er wusste nicht, ob sein Kreislauf mit dieser ungewohnten Herausforderung fertig werden würde. Andererseits, wenn er schon mal wach war … Er versuchte, sich zu erinnern, was er sich für den heutigen Tag alles vorgenommen hatte. Dann ging er unter die Dusche.
***
Eine gute Stunde später betrat Emilio die Villa von Ernst Steixner in Terlan. Von Phina hatte er sich nicht verabschieden können, die war schon mit ihrem Traktor in einem ihrer Weinberge unterwegs gewesen. Er fand den Schuppen und auch die Hintertür, von der ihm sein Auftraggeber erzählt hatte. Er entriegelte diese und prägte sich ein, wie er das Haus in Zukunft unbemerkt durch den Garten betreten konnte. Dann stand er im Wohnzimmer vor dem Konzertflügel, den er schon bei seinem ersten Besuch bewundert hatte. Er klappte den Deckel hoch und betrachtete die Tastatur. Mit einem Finger klimperte er «Hänschen klein». Er massierte sich die Hände, nahm Platz, holte tief Luft – und begann fulminant mit der «Rhapsody in Blue» von George Gershwin. Es ging besser, als er das nach den vielen Jahren erwartet hatte. Hoppla. Noch mal von vorne … Wie lange war das her? Im Schloss seiner Eltern hatte es ein Klavierzimmer gegeben, während seines Studiums in England hatte er als Barpianist Jazz, Pop und Evergreens gespielt. Damals war seine Welt noch eine andere gewesen. Über eine halbe Stunde spielte er Gershwin. Er mochte diesen amerikanischen
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