Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Friedhof.
Schließlich stand er wieder vor der niedrigen Mauer, zwar an einer anderen Stelle, aber er ahnte die Richtung, wo es zu dem Grabstein mit dem Geldkoffer ging. Er kniete sich hin, verdeckte mit der Hand das Display und schaltete ein. Er hatte dies in den letzten Minuten immer wieder gemacht. Der blaue Punkt blinkte penetrant an derselben Stelle. Keine Bewegung, null. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ein Kleinkrimineller so viel Gelassenheit aufbrachte, einen Koffer mit Geld stundenlang hinter einem Grabstein unbeaufsichtigt stehen zu lassen.
Puttmenger wusste nicht, was er tun sollte. Wahrscheinlich wäre es am klügsten gewesen, im Auto abzuwarten. Wenn der blaue Punkt und damit sein Koffer plötzlich davonbrausen sollten, musste er erst den Fiat holen, um die Verfolgung aufzunehmen. Aber er hatte ja sein Trackingsystem. Hier an der Mauer einfach hocken zu bleiben, machte am wenigsten Sinn. Die Knie taten ihm jetzt schon weh. Er war in jeder Beziehung zu weit weg – sowohl von seinem Auto als auch von seinem Geldkoffer. Kurz entschlossen stieg er über die Mauer. Er steckte das Handy in die Hosentasche. Die Taschenlampe in der einen und den Revolver in der anderen Hand, suchte er gebückt den Weg zwischen den Grabsteinen. Immer wieder blieb er stehen, um auf verdächtige Bewegungen oder Schatten zu achten, auch auf auffällige Geräusche. Aber nichts dergleichen. Er stellte fest, dass er sich in der Reihe vertan hatte. Aber da vorne war er, der ovale Grabstein mit dem schmiedeeisernen Kreuz. Puttmenger legte sich auf den Boden, machte sich ganz flach, langsam kroch er vorwärts. Irgendwie hatte er sich das alles anders vorgestellt. Souverän im Auto sitzend, mit dem Trackingsystem den Erpresser verfolgend, in jeder Minute Herr der Lage. Stattdessen robbte er kurzatmig über den Boden, wie ein vertrottelter Jugendlicher, der sich für einen Indianer auf Kriegspfad hielt.
Jetzt sah er die Umrisse des Pilotenkoffers. Er war also noch immer da, seine Handy-Ortung hatte nicht versagt. Puttmenger kniff die Augen zusammen, was seine Sehkraft nicht wirklich verbesserte. Aber sie reichte aus, dass sich sein Puls beschleunigte. Denn sein Pilotenkoffer stand nicht mehr so da, wie er ihn hingestellt hatte, vielmehr lag er geöffnet auf der Seite, außen herum die verstreuten Seiten einer Zeitung. Puttmenger richtete sich auf. Ihm war klar, dass er sich nicht mehr verbergen musste, er war zu spät dran, er hatte es verbockt. Er machte die Taschenlampe an, leuchtete in den leeren Koffer, fand auf dem Grabstein das kleine Handy, das unverdrossen seinen Standort an das Trackingsystem sendete. Darunter sein Brief, in dem er dem Erpresser den Vorschlag unterbreitet hatte, sich mit den Zeitungen den Hintern abzuwischen.
Jenseits der Friedhofsmauer, irgendwo in den angrenzenden Weinbergen, wurde ein Motor angelassen. Es hörte sich an wie eine Vespa, jedenfalls wie ein Motorroller. Wie zum Hohn hupte es einige Male. Dann wurde Gas gegeben, das Motorengeräusch wurde erst lauter, durch die erhöhte Drehzahl, dann mit zunehmender Entfernung leiser, um schließlich von der Nacht verschluckt zu werden. Puttmenger setzte sich ermattet auf einen Grabstein. Da fuhr es hin, sein liebes Geld. Und dennoch hatte er den Erpresser damit nicht zufrieden gestellt, ganz im Gegenteil, er hatte ihn provoziert. Selbstkritisch stellte er fest, dass er so ziemlich alles falsch gemacht hatte. Er hatte geglaubt, dass man als überdurchschnittlich intelligenter Professor der Medizin mit einem minderbemittelten Ganoven leicht fertig werden konnte, auch ohne einschlägige Erfahrungen auf diesem Gebiet. Ganz offenbar hatte er sich getäuscht, hatte er einen schweren Fehler begangen. Unterschätze nie deinen Gegner! Diese Maxime hatte er missachtet. Das würde ihm nicht noch einmal passieren.
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Erst zog sie sich die Bettdecke bis ans Kinn, dann strampelte sie sich wieder frei, sie rollte sich auf die Seite, umklammerte das Kopfkissen, als ob sie es erwürgen wollte, sie zog die Beine an und kam sich dabei vor wie ein Embryo. Dann legte sie sich auf den Bauch, schließlich auf den Rücken, gerade ausgestreckt, die Hände gefaltet – wie im Sarg. In dieser Haltung endlich fand Phina zu einem unruhigen Halbschlaf. In ihren Träumen wusste sie nicht zu unterscheiden, was Realität war, was sie als Erinnerung aus weiter Vergangenheit heimsuchte, was Hoffnung war und Freude, und was Verzweiflung.
Vor dem
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