Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Genossenschaftskellereien, über nachhaltig orientierte wie jener hier von Elena Walch, bis hin zu biodynamischen wie von Alois Lageder, von Manincor – und von Phina Pernhofer. Das war eine Frage der Überzeugung und der Leidenschaft. Bei Phina hatte der Glaubenskrieg innerhalb ihrer Familie stattgefunden, zwischen den Generationen. Der Vater starr an der Tradition festhaltend, die Tochter vom biodynamischen Weinbau überzeugt. Sie hätten wohl nie zusammengefunden. Der Traktorunfall hatte den Konflikt entschieden. Emilio wollte den Gedanken eigentlich nicht zulassen, aber wieder einmal ging ihm durch den Kopf, dass dieses «Unglück» vielleicht keines gewesen war. Dass die sympathische und gleichzeitig rätselhafte Phina womöglich nachgeholfen hatte. Jedenfalls trat sie jedes Mal die Flucht an, wenn er das Gespräch auf ihren Vater und den Traktorunfall brachte. Ähnlich reagierte sie auf Niki, nur nicht so emotional und verstört. Aber auch über ihn wollte sie nicht reden.
Emilio rührte im Cappuccino, er leckte den Löffel ab und machte sich seine Gedanken. Er dachte an Phinas hellblaue Augen, an den flüchtigen Kuss von gestern Abend. Er hoffte, dass er sich täuschte. Wollte er es wirklich wissen? Besser nicht! Außerdem ging es ihn nichts an. Leider hatte er eine Charakterschwäche: Er war von Natur aus neugierig und wissbegierig.
Er schaute auf sein Handy. Keine SMS, keine Anrufe. Das Dao meinte es heute gut mit ihm. Er zahlte und stand auf. Dann würde er jetzt eben seiner Intuition nachgeben und sich nach Bozen treiben lassen. Eine knappe Stunde später spazierte er durch die Innenstadt. In der Osteria dai Carrettai aß er einige Crostini. Dann machte er sich auf die Suche nach der Vinothek, die mal Niki gehört hatte. Die Adresse kannte er. Und er erinnerte sich, dass der Kriminalrat Luis Gamper bestätigt hatte, dass sie noch existierte. Auch hatte er von einer «feschen» Person namens Valerie Trafoier gesprochen, die zum Zeitpunkt von Nikis Tod in der Vinothek angestellt gewesen war.
Emilio fand den Laden, der eine rote Markise vor dem Schaufenster hatte, zwei Stehtische mit Barhocker auf dem Bürgersteig, eine kreativ gestaltete Auslage nicht nur mit Südtiroler Weinen, sondern aus ganz Italien. Als Besonderheit handelte es sich dabei ausschließlich um Magnumflaschen. An der Glastür standen die Öffnungszeiten, darunter ein Name: Valerie Trafoier. Da hatte der alte Kriminaler mit seiner Vermutung doch recht gehabt, die Angestellte von damals war die Besitzerin von heute.
Emilio betrat den Laden. Von einem Verkäufer oder einer Verkäuferin war nichts zu sehen. Also verschaffte er sich einen Überblick über die Weinregale, das war ohnehin eine Passion von ihm. Bemerkenswerterweise gab es auch hier nur Großflaschen. Das sah eindrucksvoll aus und vermittelte einen Hauch von Exklusivität. Letztere bestätigte sich durch die Auswahl der Weine, die fast durchwegs von renommierten Weingütern stammten und auch nur gute bis sehr gute Jahrgänge berücksichtigten.
«Kann ich Ihnen helfen?»
Emilio drehte sich um. Als Erstes fragte er sich, wie es die Frau geschafft hatte, sich auf Highheels unbemerkt zu nähern. Zweitens stellte er fest, dass sie bemerkenswert gut aussah. Was drittens die Schlussfolgerung erlaubte, dass es sich nur um Valerie Trafoier handeln konnte. Die blonden Haare waren fast so lang wie der Rock kurz, bei der weißen Bluse fehlten die oberen Knöpfe, was irritierende Einblicke erlaubte. Ach so, auch ihr Gesicht war hübsch anzusehen, mit sympathischen Lachfalten und vollen Lippen. Wenn sie sich heute so präsentierte, wie mochte sie erst vor zehn Jahren ausgesehen haben, als sie vom Kriminalrat Gamper befragt worden war. Wahrscheinlich träumte der alte Mann noch heute von ihr.
Emilio räusperte sich. «Sie haben eine Vorliebe für alttestamentarische Könige», stellte er fest.
Valerie Trafoier lächelte. «Da haben Sie wohl recht. Jeroboam, Rehoboam …»
«Méthusalem, Salmanazar», setzte Emilio die Namen der Flaschengrößen fort, «Balthazar, Nebukadnezar.»
«Respekt», sagte sie. «Das bringt kaum einer fehlerfrei auf die Reihe.»
Er fragte, ob sie Frau Trafoier sei.
«Vom Scheitel bis zur Sohle», sagte sie und sah ihn herausfordernd an.
Da hatte er es ja mit einem wirklich heißen Feger zu tun, dachte Emilio. Er konnte sich kaum vorstellen, dass Männer beim Weinkauf konzentriert blieben. Und wahrscheinlich gab keiner gerne zu, dass ihm eine Flasche zu
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