Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
und unnötige Fragen provozieren.
Marco ärgerte sich, dass er keinen Einfall hatte, wie er den Baron finden konnte. Über alles Weitere machte er sich keine Gedanken. Er hatte sich schon als Kind auf den Straßen von Bozen geprügelt. Und in den zehn Jahren, die er in der Opera verbringen musste, hatte es häufig Auseinandersetzungen gegeben, die mit den Fäusten ausgetragen wurden. Die einzige Gefahr würde darin bestehen, den Mann nicht aus Versehen totzuschlagen. Immerhin war ihm das schon mal passiert, in jener Nacht vor der Disco in Bozen. Der stronzo mit den geföhnten Haaren war plötzlich umgefallen – und er im Gefängnis gelandet. Das war das Problem, wenn man sich mit Weicheiern anlegte. Die Typen hatten keine Nehmerqualitäten. Die gaben von einer Sekunde auf die andere den Löffel ab, dabei hatte man sie nur zart angestoßen. Der Baron war ein klassischer Vertreter dieses Menschenschlages.
Vom Adel hatte Marco noch nie viel gehalten. Über Jahrhunderte hatte er das Land ausgebeutet und die Bauern für sich schuften lassen. Ob im Vinschgau, im Meraner Land, rund um Bozen oder im Unterland: Überall zeugten Burgen und Schlösser von der jahrhundertelangen ungerechten Verteilung des Wohlstandes. Burg Tirol, Schloss Runkelstein, Schloss Lebenberg, Burg Sigmundskron, Schloss Juval … Er hatte mal gelesen, dass es in Südtirol zwischen Brenner und Salurner Klause rund 800 Schlösser und Burgen geben sollte. Er bekam einen dicken Hals, wenn er nur daran dachte, wie es sich der Adel dort hatte gutgehen lassen. Zur Verteidigung des relativ kleinen Landes hatte es diese Vielzahl an Burgen jedenfalls nicht gebraucht. Sie dienten nur dazu, ihren adligen Bewohnern ein schönes Leben zu ermöglichen. Die meisten waren immer noch in Privatbesitz. Das nannte er mal ungerecht! Wie konnte man es ihm da verübeln, dass er auch ein Stück vom Kuchen einforderte?
Nun gut, dieser Baron aus München hatte damit nichts zu tun, auch war sein Adelstitel nichts Besonderes, und offenbar musste der Mann als Privatdetektiv sein Geld verdienen. Das immerhin war erfreulich: Viele Adlige hatten heute leere Taschen und mussten sich irgendwie durchs Leben schlagen. Und wenn einer von ihnen Marco in die Quere kam, kriegte er auf die Fresse.
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Nach dem gestrigen Stressprogramm hatte sich Emilio heute eine Entschleunigung vorgenommen. Eigentlich war er ein überzeugter Anhänger des chinesischen Wu Wei, also des Handelns durch Nichthandeln. Viele Dinge erledigten sich von selbst. Im Daoismus hält man es für weise, sich zurückzuhalten und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, blinder Aktionismus und unnützer Eifer sind verpönt, allenfalls reagiert man in großer Ruhe und intuitiv auf die Ereignisse. Emilio bedauerte zutiefst, dass er immer wieder gegen dieses Lebensprinzip verstoßen musste. Aber irgendwie passten Wu Wei und sein Beruf nicht zusammen. Seine Aufträge ließen sich nicht erfüllen, indem er konsequent nichts tat. Er hatte das schon probiert, ohne Erfolg. Dennoch wollte er keinen falschen Ehrgeiz zulassen, wollte er wie Wasser über die Steine fließen, den natürlichen Kräften keinen Widerstand entgegensetzen und dem rechten Weg des Dao vertrauen.
In seiner unergründlichen Weisheit hatte ihn das Dao heute Vormittag zur Weinkellerei von Elena Walch nach Tramin geführt. Beyond the clouds, Kermesse, Cashmere, Kastelaz – schon die Namen ihrer Weine konnten ihn in Verzückung versetzen. Er fand es beeindruckend, wie sich eine gelernte Architektin zu einer «Donna del Vino» gewandelt hatte, zur Spitzenwinzerin in Südtirol. Er hatte sich von Elena Walch das Prinzip der Nachhaltigkeit erklären lassen, das nichts zu tun hat mit dem biodynamischen Konzept von Phina. Ziel sei es, die Umwelt zu schonen, ohne die wirtschaftlichen Aspekte aus den Augen zu verlieren. Teile des biologischen Arbeitens wurden übernommen, ohne den Betrieb rein biologisch auszurichten. Er hatte den Weinkeller in historischen Gewölben besichtigt, mit seiner modernen Technik, und im Kontrast die Kulisse der großen slawonischen Eichenfässer und der kleinen Barriques. Er hatte Castel Ringberg als wichtigste Weinlage kennengelernt, wo Chardonnay angebaut wurde, Lagrein und Cabernet.
Jetzt saß er im «Gartenbistrot» und trank einen Cappuccino. Dabei dachte er über die unterschiedlichen Konzepte des Südtiroler Weinbaus nach. Das Spektrum reichte von traditionellen Betrieben wie den meisten
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