Tod sei Dank: Roman (German Edition)
schrecklich. Fünfmal die Woche macht er Nudeln mit den Soßen, die es im Supermarkt in großen Kübeln gibt: fünf Tage lang Käsesoße, Tomate-Mascarpone, Carbonara. An den restlichen zwei Tagen geht er mit uns essen (zum Beispiel in den Schnellimbiss).
Er ist unordentlich. Vor allem in seinem winzigen Arbeitszimmer riecht es wie bei einem Teenager. Da stehen mehrere Paare Hausschlappen herum, und alles ist mit zerknülltem Papier, schmutzigen Kaffeetassen und Stapeln von nicht abgehefteten Unterlagen übersät. Auf dem Boden liegen Kameras, und an den Wänden hängen Filmplakate (Psycho, Die gegen alle Regeln tanzen, Der Nebel).
Er ist ein hingebungsvoller Vater. Seit unsere Mutter uns verlassen hat, hat er an nichts anderes als an unser Wohlergehen gedacht. Die angestrebte Filmkarriere hat er für einen langweiligen Bürojob an den Nagel gehängt, den er von zu Hause aus erledigen kann. Er hat uns zu unseren Schwimm- und Korbballstunden und zu den Häusern unserer Freundinnen chauffiert, ist mit uns Klamotten kaufen gegangen und hat neben der Umkleidekabine gesessen, während wir Sachen anprobiert haben.
Er ist ein gebrochener Mensch. Einsam. Was würde ich nicht dafür tun, ihn glücklich zu machen. Wie gern würde ich ihm dabei helfen, jemand anderen als uns zu finden, auf den er sein Leben ausrichten kann. Denn eines Tages werden wir ihn auf die eine oder andere Weise im Stich lassen müssen. Wir werden weggehen, und dann werden ihm nur noch sein unordentliches Arbeitszimmer und sein langweiliger Job geblieben sein – und ein leeres Haus, von dem er nicht weiß, wie er es verlassen soll. Weil er nie einen anderen Grund als uns hatte, es zu verlassen.
Ich bewundere ihn, weil er trotz all seiner Probleme freundlich und großzügig ist. Er gibt mir sehr viel. Und ich schätze mich glücklich, dass ich jeden Tag etwas von ihm bekomme.
Will hatte diesen Text vermutlich dreitausend Mal gelesen. Dieser Aufsatz war der Grund dafür, dass er abends immer mit einem Lächeln schlafen ging.
Oft las er Kays Aufsatz, wenn er im Bett lag und sich Sorgen um Georgie machte, die – im Gegensatz zu Kay – nicht mit einem Lächeln auf die Welt gekommen war. Sie war vor Schreien blau angelaufen. Will hatte versucht, sie im Arm zu halten, nachdem die Krankenschwester sie gewogen, gemessen und untersucht hatte, aber sie hatte ihn mit ihrer Wut erschreckt, und so hatte er sie gleich wieder zurückgereicht und stattdessen Kay gehalten, die nach zweiminütigem Lächeln eingeschlafen war.
Als sie Kleinkinder waren, kam Georgie am Weihnachtsmorgen immer hinter ihrer Schwester die Treppe herab und rieb sich erschöpft die Augen. Sie genoss Kays Aufgeregtheit und bestand darauf, dass die Schwester ihre Geschenke zuerst öffnete. »Fühlt sich wie ein Teddybär an!«, sagte sie, während Kay das schlecht verpackte Geschenk betastete. »Warum machst du es nicht auf? Oh, sieh nur, was Papa dir geschenkt hat! Wie schön.« Schließlich öffnete sie ihre eigenen Geschenke: Hastig riss sie das Papier auf, warf es beiseite und ging zum nächsten Geschenk über. Will konnte sich nicht daran erinnern, dass sie jemals etwas anderes als Geringschätzung für seine Geschenke geäußert hätte. (»Ich wollte eine DS! Eine Playstation habe ich schon!« Oder: »Warum ist es rosa? Kennst du meine Lieblingsfarbe nicht mehr?«)
Während Kay ihm an ihrem ersten Schultag lächelnd zugewinkt hatte, als sie in das Schulgebäude ging, hatte Georgie laut geflennt, sich an seinen Beinen festgeklammert und geschrien: »Ich will da nicht rein, Papa! Ich will mit dir zu Hause bleiben.« Ihm war nichts Besseres eingefallen, als zu sagen: »Sieh deine Schwester an. Die ist schon ganz aufgeregt vor Freude. Die weiß, dass es Spaß machen wird. Warum gehst du nicht einfach hinter ihr her?«
»Warum gehst du nicht einfach hinter ihr her!«, sagte Georgie, als eine Lehrerin sie bei der Hand nahm und in Richtung Tür zerrte.
Danach nagte immer, wenn er nachmittags mit den Müttern auf dem Schulhof stand, eine gewisse Besorgnis an ihm: Welches Problem würde Georgie heute haben? Hatte sie die falschen Sportsachen eingepackt? Hatte ihre Lehrerin zu viel geschrien? Was auch immer es war, er versuchte, positive Stimmung zu verbreiten. Manchmal gelang ihm das – wie damals, als außer Georgie jedes Mädchen in der Klasse (Kay inbegriffen) zu Mhairi Magees Geburtstagsfeier eingeladen worden war. Will sagte Georgie, sie solle sich erst mal hinsetzen, und dann erzählte
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