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Tod sei Dank: Roman (German Edition)

Tod sei Dank: Roman (German Edition)

Titel: Tod sei Dank: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Stunden nach meinem Abgang wusste er schon, wo ich war und was ich tat. Ich hätte das Geld vom Konto abheben sollen, so wie meine Mutter es gemacht hatte.
    Ich ging gerade den Bahnsteig entlang, als ich seine Stimme hörte. Ich drehte mich um und sah, wie er mit diesem dämlichen, weinerlichen Gesichtsausdruck auf mich zu rannte. Ich überlegte einen Moment lang, ob ich mich durch die Wartenden vor den Abteiltüren drängen sollte, aber mir fehlte schlichtweg die Kraft dazu.
    Wie lange war es her, dass ich noch Kraft gehabt hatte? Wenn ich so zurückblicke: eine lange Zeit. Die ersten ernsthaften Symptome? Ein Jahr zuvor hatte ich angefangen, Treppen zu meiden und erst einmal darüber nachzudenken, ob ich wirklich in mein Zimmer hochgehen musste oder zu meinem Schließfach im zweiten Stock des Schulgebäudes. Mit der Zeit nahm die Erschöpfung zu. Vielleicht brauchte ich bloß mehr Schlaf, vielleicht lag es an dem einen Wodka zu viel, abends vorher im Park. Oder lag es an meiner Regel? Doch als aus den Wochen Monate wurden und mein vages Krankheitsgefühl immer stärker, konnte ich nicht mehr leugnen, dass etwas mit mir nicht stimmte. Warum musste ich dauernd pinkeln – hatte mich der Typ auf der Silvesterparty geschwängert? (Ich machte einen Test. Das Resultat war negativ. Keine große Überraschung, da seine Mutter in sein Zimmer gestürmt war, ehe einer von uns beiden so weit gewesen war.) Und wenn ich schon andauernd das Gefühl hatte, dringend pinkeln zu müssen, warum kam dann nichts, wenn ich es endlich aufs Klo geschafft hatte? Na los, Pipi, komm schon, bettelte ich. Warum in aller Welt kommst du nicht? Hatte ich eine Geschlechtskrankheit? Eine Harnwegsentzündung? In der Familienplanungspraxis wurde ich auf Erstere untersucht (alles in Ordnung), und um Letztere loszuwerden, trank ich irgendein Pulverzeug (half nichts). Was also hatte ich?
    Und warum sah mein Pipi, wenn dann doch mal etwas kam, wie der Schaum auf einem Milchshake aus? Warum hatte ich dauernd diese geschwollenen Knöchel? Warum juckte mich immer alles, und warum war mir kotzübel? Warum hatte ich diesen fauligen Geschmack im Mund, der sich mit keiner Zahnpasta oder Mundspülung vertreiben ließ? Einige Wochen vor dem Versuch, meine Mutter zu finden, hatte ich Abend für Abend Medizinseiten im Internet gegoogelt, nur um herauszufinden, dass ich unter fast jeder dort beschriebenen Krankheit litt.
    »Du machst dir grundlos Sorgen«, sagte Kay, als ich sie eines Abends auf den Milchshakeschaum ansprach. »Das habe ich manchmal auch. Ist bestimmt ganz normal. Vielleicht die Hormone? Und natürlich bist du müde. Du schläfst ja nie.«
    Aber als mein Vater auf dem Bahnsteig vor mir stand, wusste ich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, dass es mehr als bloß die Hormone und der Schlafmangel waren. O Scheiße, dachte ich. Ich war völlig aus der Puste. Ich musste mit ihm sprechen.
    »Georgie, bitte tu es nicht.«
    »Du kannst mich nicht davon abhalten.«
    »Aber wo fährst du hin? Wo willst du sie finden?«
    »Ich treffe den Typen, mit dem sie abgehauen ist. Janet hat mir gesagt, wo ich ihn finde.«
    »Wo ist er?« Das Zittern in der Stimme meines Vaters war unüberhörbar. Ein jämmerliches Zittern, das sein ganzes Denken mit Beschlag belegte: Warum bin ich da nicht von selbst drauf gekommen? Warum habe ich mich bei Janet nicht nach Heath erkundigt?
    »Er sitzt in Manchester im Knast.«

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Kapitel sechs
    An die zuständige Behörde … Ein Lineal kappte den unteren Rand von Heaths Handschrift.
Ich schreibe, weil ich um Bewährung bitten will. Seit meiner Straftat habe ich mich sehr verändert. Meine Lebensgefährtin Cynthia Marion macht eine Entziehungskur. Sie sagt, dass sie auf meine Entlassung wartet, damit ich ihr helfen kann, das zu erreichen, was ich erreicht habe. Ich bin hoch motiviert und will ihr helfen. Bitte glauben Sie mir. Ich bedaure das, was ich getan habe, und werde von jetzt an ein gesetzestreuer Bürger sein. Die Leute, mit denen ich mich früher herumgetrieben habe, spielen in meinem Leben keine Rolle mehr.
Mit freundlichen Grüßen,
HEATH JONES
    Diesen ersten Brief hatte Heath drei Jahre vor Georgies geplantem Besuch geschrieben – mit der Zunge zwischen den Zähnen und im Schweiße seines Angesichts. Gebracht hatte das nichts. Heath hatte nicht ernstlich mit seiner vorzeitigen Entlassung gerechnet, jedenfalls nicht gleich beim ersten Antrag, aber frustriert war er trotzdem – so sehr, dass er Cynthia in ihrer

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