Tod sei Dank: Roman (German Edition)
ihren Kaffee und rührte um.
»Ich heiße Jonathon«, log er. »Ihr Exmann hat mich damit beauftragt, sie aufzuspüren.«
Cynthia verschluckte sich und sprühte einen Mundvoll Kaffee in Prestons Gesicht. Er wischte ihn mit einer Serviette ab.
»Was will denn der von mir?«
»Ihre Niere«, sagte er, was eine zweite, weitaus stärkere Kaffeedusche zur Folge hatte.
*
Diese Frau sieht überhaupt nicht wie Georgie aus, dachte Preston. Sie hatte etwas von einer drogenumnebelten Hexe – ungepflegtes Kraushaar, zu stark gebräunte, ausgedörrte Haut, blutunterlaufene Haschischaugen. Nein, Georgie sah ganz und gar nicht wie ihre Mutter aus. Blaue Augen statt brauner Augen, hellbraunes Haar statt dunkelbraunen Haares. Obwohl sie krank war, wirkte Georgie viel gesünder als ihre Mutter. Preston wischte sich zum zweiten Mal den Kaffee aus dem Gesicht und fragte sich, ob die Organe dieser Frau überhaupt noch zu etwas nutze seien.
Er hatte seine Suche mit der Postkarte aus Chapora begonnen. Gleich nachdem Will die Reisekosten auf sein Konto überwiesen hatte, erzählte er seiner Mutter, dass er in das Ferienhaus eines Freundes in den Highlands fahren werde, um für die Prüfungen zu lernen. Sie war Alkoholikerin, seine Mama, und besonders helle war sie auch nicht. Preston fragte sich oft, wieso er so begabt sei. Ob sein verstorbener Vater ein Genie gewesen war? Er bezweifelte es. Sein Vater war beim Wechseln einer Glühbirne durch einen Stromschlag zu Tode gekommen, und das kam Preston nicht besonders gewitzt vor. Vielleicht war es seine Autismus-Spektrum-Störung, die ihn zum Genie machte. Er fand diese Vorstellung saukomisch und malte sich aus, wie er mit ausgestreckten Armen zusammen mit lauter anderen Spastis auf einem langen Drahtseil balancierte und den Menschen unten in der realen Welt zuschrie: »He, ihr da unten! Schaut mich an! Hier oben! Im Spektrum!«
Auf dem Flug nach Mumbai hatte er genug Zeit gehabt, um ein wenig Hindi und Urdu zu lernen, was sich als nützlich erwies, als er den Bus nach Goa suchte und die Fahrkarte kaufte. Drei Stunden nach seiner Landung in Mumbai stieg er in den Bus. In diesen drei Stunden hatte er das geflügelte Wort »Die Briten haben die Bürokratie erfunden, aber die Inder haben sie perfektioniert« von Grund auf verstehen gelernt. Um eine Busfahrkarte zu ergattern, hatte er an vier verschiedenen Schaltern anstehen müssen. Im Gegensatz zu einigen anderen weißhäutigen Reisenden hatte er sich von der Mühseligkeit dieses Unterfangens jedoch nicht die Stimmung verderben lassen. Welchen Zweck hätte es auch gehabt, ungeduldig zu sein? Nachdem er seine Fahrkarte bezahlt hatte, war ihm noch eine Stunde Zeit bis zur Abfahrt geblieben. Also hatte er einen Taxifahrer gebeten, ihm so viel wie möglich von der Stadt zu zeigen. Aufgrund des dichten Verkehrs bekam er nur eine stark verwestlichte Einkaufsstraße zu sehen (inklusive eines McDonald’s, wo er einen Big Mac kaufte) und jede Menge anderer Taxis. Nachdem er in den Bus gestiegen war, blieben ihm noch fünf Minuten, die er dazu nutzte, einen Gangplatz in der Busmitte zu belegen und seine Reisetasche auf den benachbarten Fensterplatz zu stellen, sodass niemand sich neben ihn setzen konnte. Er hatte Glück, denn der Platz blieb tatsächlich frei. Es hätte ihn wirklich gestört, einen Sitznachbarn zu haben, insbesondere einen westlichen. »Wo kommen Sie her?«, hätte der ihn zweifellos gefragt, um ihn gleich darauf mit Geschichten aus seinem eigenen Leben zu traktieren. Und natürlich hätte er erwartet, dass Preston Blickkontakt hielte und eifrig nickte.
Über den Bildschirm vorn im Bus flimmerten während der gesamten sechzehnstündigen Fahrtzeit Bollywood-Videos: Fröhliche Menschen, die zu durchdringendem Gequietsche tanzten. Eine Stunde lang hätte sich Preston das durchaus gefallen lassen, aber sechzehn Stunden waren die pure Hölle. Über der Fahrerkabine war ein großes Schild angebracht: Wir vorstellen Sie. Kabine in für den einzelnen «. Preston verbrachte einige Zeit mit dem Versuch einer Dechiffrierung, und viele weitere Stunden damit, aus dem Fenster in die Schwärze dieser fremden Welt zu schauen, in der nur gelegentlich Reklametafeln aufblitzten: Ich trinke Limca, weil es mir schmeckt! , Gemeinsam gegen die Malaria! und Menschen von Rang essen Würstchen aus Nepal!
Irgendwie gelang es ihm, einzuschlafen. Als er aufwachte, glühte die Landschaft ringsum in satten, tropischen Farben. Er stieg in Mabusa aus. Hätte er
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