Tod sei Dank: Roman (German Edition)
da. Das war perfekt. Er verfolgte gern Leute, vor allem Frauen, war deshalb sogar schon mal in Schwierigkeiten geraten (aber Briony war die Vorladung beim Jugendamt Wert gewesen, die er sich dafür eingehandelt hatte, dass er neben ihrem Bett stand). Preston verfolgte auch Männer – James Marshall zum Beispiel, der eine bessere Modelleisenbahn als Preston bekommen hatte, als sie beide sieben Jahre alt gewesen waren. Seitdem hatte Preston sich an seine Fersen geheftet. Mit neun Jahren war er ihm gefolgt, als James zu seinem Geheimversteck geradelt war; mit elf, als James in Giffnock Rugby gespielt hatte; mit vierzehn, als er Rebecca Gordon hinter dem Pfadfinderzentrum geküsst hatte; mit sechzehn, als er Mülltonnen in Brand gesteckt hatte. Außerdem bewahrte Preston Andenken an die Objekte seiner Recherchen auf. In einem alten Computerkarton auf dem obersten Regal seines neuen Büros befand sich eine wachsende Sammlung, die ihn an seine Zielpersonen erinnerte: die Wasserflasche von James Marshall, der Schließfachschlüssel von Bethanay Davidson, ein Handschuh von Maria McDonald, der Nagellackentferner von Pauline Bryce.
Der Einfall war genial. Warum sollte er nicht einfach Menschen verfolgen, die sowieso verfolgt werden mussten?
Der Name Jäger und Sammler war ihm eines Nachts eingefallen, als er im Schlafzimmerschrank seiner Mutter herumgewühlt hatte (es gab keinen besonderen Anlass dafür, er wühlte einfach gern in den Sachen anderer Leute herum). In einer kleinen Schuhschachtel bewahrte auch seine Mutter Andenken auf. Allerdings nur solche, die sie an ihren Mann erinnerten, der von einem Stromschlag getötet worden war. Eines dieser Andenken war die CD einer australischen Gruppe namens The Hunters and Collectors. Preston hatte sie nicht angehört, aber der Name passte perfekt.
Die Agentur brachte alle Fähigkeiten zusammen, die er während der Pubertät verfeinert hatte. Er war ein kompetenter und sorgfältiger Rechercheur, ein begabter Computerhacker, ein Meister in der Kunst, den Hausmüll anderer Leute zu durchforsten, ein Naturtalent, wenn es darum ging, sich hinter Bäumen, Sträuchern und Zäunen zu verstecken und von dort aus mit oder ohne Fernglas in Fenster zu spähen. Außerdem verstand er sich gut auf Einbrüche. Doch vor allem war er hoch engagiert. Sobald er jemanden ins Visier genommen hatte, gab er nicht mehr auf.
Bislang hatte er eine vermisste Jugendliche aufgespürt und sie zu ihrer vor Sorge fast schwachsinnigen Mutter zurückgebracht (er hatte eine ihrer falschen Wimpern behalten); hatte im Auftrag einer verzweifelten Ehefrau fotografische Beweise für eine schwule Liebesaffäre ihres Mannes beigebracht (und ein benutztes Kondom behalten); und er hatte einen Mann entlastet, der keine Affäre hatte, sondern lieber im Fernsehen das Unterhaltungsprogramm seiner Wahl anschaute – und zwar so weit wie möglich von seinem nörgelnden Eheweib entfernt (die Fernbedienung).
In seiner ersten Nachricht hatte Will Marion geschrieben:
Guten Tag, ich frage mich, ob Sie mir helfen können. Meine Frau Cynthia Marion, die getrennt von mir lebt, ist vor etwas über einem Jahr nach Indien gegangen. Ihre frühere Anschrift ist Apartment 1a, Digby Crescent, Finsbury Park, London. Ich muss sie dringend finden. Unsere beiden Töchter sind krank und brauchen Spendernieren. Bitte melden Sie sich per E-Mail oder Telefon (5 55 07 57 61 11).
Mit freundlichen Grüßen,
Will Marion
Preston hatte gerade in seinem Büro in der Besenkammer gesessen, wo er eigentlich den Inhalt seines Chemiebuchs wiederholen sollte. (War seiner Mutter eigentlich nicht klar, dass er den Stoff schon vor Monaten gelernt hatte? Wusste sie nicht, dass er seine Prüfungen mit links bestehen würde, ohne auch nur eine einzige Seite zu wiederholen?) Er hatte sofort eine Antwort gemailt.
Ich helfe Ihnen gern. Ich bin in diesem Bereich äußerst sachkundig und kann auf eine hundertprozentige Erfolgsquote beim Aufspüren vermisster Personen verweisen. Aufgrund der äußerst heiklen und vertraulichen Natur meiner Aufträge ziehe ich es vor, per E-Mail zu kommunizieren, und möchte Sie bitten, all meine Nachrichten von Ihrer Festplatte zu löschen, sobald Sie die darin enthaltenen Informationen zur Kenntnis genommen haben. Meine Gebühr beträgt 500 £ pro Woche zzgl. Reisekosten. (Sie erwähnten, dass Ihre Frau sich möglicherweise in Indien aufhalte, sodass ich vermutlich dorthin reisen muss und baldigst eine Rücklage benötige,
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