Tod to go (Crime Shorties)
kann mich nicht erinnern«, sagte Widukind.
»Was sollen wir mit diesem Klappstuhl anfangen?«, fragt der Hagere. »Weißt du eigentlich, dass Heinrich Himmler dich geliebt hat, Widukind? Hast du überhaupt eine Ahnung, was hier los war? Um ein Haar, und der Führer wäre nach Enger gekommen. Dann hätten wir jetzt eine Feldherrnhalle.«
»Feldherrnhalle?«, sagte Widukind.
»Du könntest ein nationales Symbol sein. Mit allem Drum und Dran. Reiterdenkmal vor dem Reichstag, Briefmarke, Volkslieder, das volle Programm.«
Wenn sie nicht das Metall gebraucht hätten, dachte ich. Schließlich wurde bereits 1942 das Widukind-Denkmal eingeschmolzen, weil man das Eisen dringend für die Rüstungsindustrie brauchte.
Der gegelte Nazi sah zu mir herüber. Ich schloss rasch die Augen und versuche weiter, das Klebeband los zu werden, mit dem meine Handgelenke gefesselt waren.
»Bist du’s nun oder bist du’s nicht und hast du aus nationaler Ehre diesen Fuzzi in der Kirche umgebracht?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Widukind.
»Wenn das eine völkische Angelegenheit ist, dann werden wir dich zu schützen wissen.«
Widukind zuckt ratlos mit den Schultern.
Der Verhörspezialist starrte den in der Mitte sitzenden Mann ratlos an.
»Und was machen wir jetzt? Übergeben wir ihn an die Bullen?«
»Seit wann übergeben wir jemanden an die Bullen? Entweder ist es Widukind, dann ist er unantastbar ...«
»… und wenn er es nicht ist?«, fragte der Hagere.
»Dann hat er unsere nationale Ehre angepisst und wir verbuddeln ihn in einem Braunkohleloch.«
Die Truppe zog sich zur Beratung zurück. Wahrscheinlich hatte es wegen der lauen Parteikasse nur zu einem mittelmäßigen Klebeband gereicht. Nach zehn Minuten konnte ich mich befreien und Widukind losbinden.
»Ich kann mich nicht erinnern«, beteuerte er mit Unschuldsmiene.
Wir schlichen zu einem zerbrochenen Fenster und kletterten ins Freie.
In meine Wohnung konnten wir nicht mehr, also mietete ich uns im Herzog Wittekind Hotel im Zentrum ein. Ich hätte ja gern etwas Unscheinbareres genommen, aber in Enger war alles nach dem Sachsenhäuptling benannt.
Wie sollte es jetzt weitergehen?
»Und du hast keine Erinnerung an dieses glitzernde Wesen, das da in der Kirche lag?«, fragte ich Widukind.
Der schüttelte traurig den Kopf und nickte schon wieder ein.
Ich bestellte beim Hotelservice Schinkenbrote und versuchte, meine Gedanken zu ordnen.
Es klopfte an der Tür. Ich öffnete, und der Kellner balancierte ein silbernes Tablett in das Zimmer.
»Auf den Tisch, bitte«, sagte ich und kontrollierte mit einem Blick aus dem Fenster die Umgebung.
Warum antwortete der Kellner nicht? Ich wandte mich um und blickte in den Lauf einer Maschinenpistole, die der Mann auf uns richtete.
»Ich bringe Sie in ein Volksgefängnis«, sagte er und öffnete die Tür, ohne sich von uns abzuwenden.
Zwei maskierte Gestalten stürmten in das Zimmer. Eine Frau und ein Mann. In aller Eile banden sie uns die Hände mit Kabelbinder auf den Rücken.
Sicher, Sachsenkönig Widukind hatte damals einiges auszufechten, aber dies hier entwickelte sich auch nicht schlecht.
Man brachte uns in einen Keller, dessen einziges Oberlicht mit einer Matratze zugestellt war.
»Lassen Sie mich raten«, sagte ich. »Sie sind …«
»Antworte, wenn du gefragt wirst«, herrschte mich die Frau an. »Wir sind eine Kommandoeinheit der Revolutionsgarden Enger.«
Dann wandte sie sich an Widukind.
»Sie sind ein Symbol der Freiheit, ein Revolutionär. Entschuldigen Sie unsere Vorsichtsmaßnahme.«
Widukind schossen die Tränen in die Augen.
»Aber ich kann mich nicht erinnern«, sagte er. »Wirklich nicht. Ich habe keine Ahnung, was das soll.«
»Kämpfer gegen die fränkische Oberhoheit. Kämpfer für einen freien Sachsenstamm. Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und gegen den Obrigkeitsstaat.«
»Mag sein«, sagte Widukind, dem anzusehen war, dass er gar nichts verstand.
»Oder sind Sie eine Finte des Klassenfeindes, dann allerdings …« Sie lud die Maschinenpistole durch.
»Oh, nein«, sagte Widukind, der plötzlich zu begreifen schien, was man von ihm wollte. »Nur wenige Kilometer entfernt haben wir uns gegen Karl den Großen gestellt. Zwei seiner höchsten Beamten geköpft, Gefangene gemacht.«
Der Mann, der die Hälfte seines Gesichts immer noch mit einer Maske bedeckte, drosch auf den Tisch.
»Wiederauferstehung! Das ist doch Humbug. Das ist Opium fürs Volk. Du bist eine dekadente Ausgeburt des
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