Tod to go (Crime Shorties)
Stoffpaket. Sah erst nach links, dann nach rechts. Niemand da, der sich für das Paket interessierte. Sie stupste es an, fingerte daran herum und griff zu. Noch begriff sie nicht, dass sie da gerade eine Hand schüttelte. Sie packte und wickelte aus, bis schließlich der erste Finger erschien.
Aus allernächster Nähe musterte sie ihn, so wie ein Experte eine ganz wertvolle Skulptur betrachtet. Sie ging mit der Nase noch dichter ran und überlegte wohl, was das für ein Kunsthandwerk sein könnte. Aber auf einmal kreischte sie los und ließ die Hand fallen. Ein paar Leute stürzten auf sie zu.
Ein verrückter Marder hatte mir die Hand gebracht, ich hatte sie weitergegeben, jetzt sollte die Polizei mal was damit anfangen. Aber die Hand ließ mich nicht los … sozusagen.
Am nächsten Tag machte die Sylter Inselschau mit einer riesigen Story auf. Seite Eins: Leichenteile gefunden, Mord wird nicht ausgeschlossen, Sylt zittert vor einem brachialen Mörder. Seite Zwei: Und weil so eine Hand nicht nach Sylt gehört, wo ja, wie alle ganz genau wissen, nur ehrbare Leute wohnen, deshalb wurde sie angeschwemmt. Seite Drei: Und so schützen sie sich und ihr Eigentum.
»Warum hast du sie nicht einfach abgegeben?«, fragte Sam, der inzwischen diverse Radiowecker, eine Kettensäge und einen Haufen von blonden Barbiepuppen in Fernsehballettstärke auf die Reise nach Burkina Faso geschickt hatte.
Er schob mir einen Teller mit Hummerfleisch auf meine Esskiste. Reste von einem vorweihnachtlichen Festessen. Bei der guten Fürsorge von Sam muss ich glatt auf meinen Cholesterinpegel achten. Manchmal habe ich direkt Appetit auf eine ehrlich mit Paniermehl gestreckte Frikadelle. Ja, die reichen Leute haben es auch nicht leicht.
»Wenn ich bei denen mit einer Hand auftauche, sperrt mich doch die Polizei glatt wegen Kannibalismus ein. Oder wegen Störung der Weihnachtsruhe.«
»Störung der Weihnachtsruhe?”
»Stell dir die Schlagzeile vor: >Perverser Penner öffnet Friedhofsgräber<.”
Sam zog seine Brauen zusammen.
»Was weiß ich, was die für Paragraphen haben zu dieser Jahreszeit? Außerdem, jetzt haben sie die Hand ja.«
»Du mit deiner Hand. Die hat irgendein Köter auf dem Friedhof ausgebuddelt.”
»Sag mal Sam, vielleicht ist ein Hund im Museum herumgestreunert und hat einen alten Ägypter ausgewickelt und dann ...”
»Einen was?”
»Na, eine Mumie, das würde doch erklären ... und dann war das vielleicht die Hand von einer Prinzessin, sagen wir, die Schwester von Kleopatra.”
»Die Schwester von …?”
»Die Schwester von Kleopatra in meinem Heizungskeller.”
Bevor er die Tür zuknallte, riet er mir noch, auf die Heizöldämpfe zu achten.
»Ist nicht gut für den Kopf.«
Sam kann sich wirklich gewählt ausdrücken. Nicht gut für den Kopf!
Der redet, wie er isst. Ohne Messer und Gabel macht der das nicht. Der benutzt das Besteck wie ein Chirurg bei einer Herz-OP. Und nimmt nur ganz kleine Happen.
*
Am nächsten Tag stürmte er in meinen Keller und wedelte mit der Tageszeitung vor meinem Gesicht.
»Sie haben sie identifiziert.«
»Identifiziert? Wen?«
»Das Mädchen, das zu der Hand gehört. Muss schon vor vielen Jahren gestorben sein. Sagen die Gerichtsmediziner. Sauber mit einem Beil abgetrennt!«
Sam fuhr fort mit seiner Zusammenfassung des Zeitungsartikels.
»Das Mädchen ist vor 15 Jahren hier weggezogen. War damals dreizehn Jahre alt. Die hatten ihren Daumenabdruck nur durch Zufall. Eigentlich verstößt das gegen die Datengesetze, steht in der Zeitung.«
»Was hat sie verbrochen?”
»Ladendiebstahl.«
»Hmmh.«
»Warte mal«, sagte Sam und suchte eine bestimmte Zeile.
»Also ja, hier steht’s. Ein Topf mit einer Kunstblume. Eine Orchidee.”
»Eine künstliche Blume? Und da nimmt man ihr die Fingerabdrücke ab?«
»Darüber regen sich die in der Zeitung auch auf. Außerdem war sie noch gar nicht strafmündig.«
»Um bestraft zu werden, ist man immer alt genug.«
Sam wieselte über die Zeilen des Artikels und erzählte mir den Rest der rätselhaften Story. Nach Aussagen der Mutter, Heikedine Paulsen, sei ihre Tochter Isa in einem Heim untergebracht gewesen, wo sie auch verstorben sei.
»Da weiß keiner was Genaues«, sagte Sam.
»Auf einer Insel weiß jeder alles. Und zwar ganz genau.«
Schließlich hatte die Hand mal zu einem Menschen gehört. Und Menschen haben eine Geschichte. Menschen werden geboren und sterben, und genau das dazwischen, das ist ihre
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