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Tod to go (Crime Shorties)

Tod to go (Crime Shorties)

Titel: Tod to go (Crime Shorties) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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sich zu unserer etwas höher gelegenen Warft gerettet hatte, hielt ihn zurück.
    Als mein Vater sich losreißen wollte, da schlug unser Nachbar ihn bewusstlos. Meine Mutter wickelte ihn in eine Decke, und so warteten wir auf dem Dach. Bis endlich nach Stunden das Schiff beilegte. Ein Meter trennte uns von den am Haus rüttelnden Brechern. Um uns herum schwammen die Tierkadaver, klammerten sich ans Haus und glotzten uns mit aufgerissenen Augen an.
    Mitten in diesem Film klopfte Heldmann, steckte die Nase zur Tür herein und fragte vergnügt, ob ich nicht zu ihnen aufs Zimmer kommen wolle.
    Ich nahm das Transistorradio, wickelte die lange Telefonschnur ab und stapfte mit Radio und Telefon die Treppe hinauf.
    Das Zimmer hatte sich völlig verändert.
    Es kam mir vor, als tapste ich durch meine Kindheit, als stände ich in dem Zimmer, das meine Eltern zum Weihnachtsfest vorbereitet hatten. Neben den Gläsern brannten Kerzen, aus einem CD-Player hörte ich ein Sinfoniekonzert, und Romy saß in einem dunklen Kleid aufrecht auf dem Stuhl. Sie war dezent geschminkt, die Haare fielen über ihre Schultern. Auch wenn der Baum fehlte, ich roch Tannengrün.
    Romy erhob sich.
    Sie sagte: »Ich hoffe, Sie haben Lust auf ein kleines Fest?«
    Heldmann fügte hinzu: »Und weil sie heute unser Gast sind, zwar im eigenen Hause, aber immerhin, werde ich mich mit ihrer Erlaubnis um das heiße Wasser kümmern.«
    Hinter seinem Rücken zauberte er eine Flasche Rum hervor, stellte sie zwischen die Gläser und beteuerte im Hinausgehen, er werde schon alles finden, was für einen steifen Grog vonnöten sei.
    »Ist ja richtig festlich, oder haben Sie Angst, dass uns hier im Meer der Strom wegbleibt?«, fragte ich Romy und deutete auf die Kerzen.
    Sie lachte.
    »Nein, nein«, sagte sie. »Ich habe keine Angst vor dem Meer. Trutz, blanke Hans, sagt man nicht so bei Ihnen?«
    »Angst sollte man aber schon haben, und die Trutz blanke Hans-Rufer, die sitzen jetzt in Rungholt zwischen den Seehasen und winken von unten zu den Bootskielen hinauf.«
    Sie lachte und beugte sich zu mir vor.
    »Angst vor dem Meer? Nein, Angst vor dem Meer habe ich nicht.«
    Bei dem Wort »Angst« schaute sie zur Tür, durch die Heldmann eben verschwunden war.
    Wir hörten ihn unten mit den Töpfen scheppern und über den Herd fluchen. Ich überlegte, ob ich erzählen sollte, womit ich gewöhnlich den Touristen im Pesel einen Schauer über den Rücken jage.
    Die Geschichte von der großen Mandränke, die Flut in der Marcellusnacht 1342. Die Nacht, in der Tausende von Menschen ertranken, die Nacht in der das Wasser den Reichtum des Landes in wenigen Stunden hinaus ins Meer schaffte, in der ganze Inseln und Halligen verschwanden.
    Von den Ruinen, die man noch heute im Watt findet, von den Frauen, die bei Ebbe die Steine der untergegangenen Kirchen abtrugen und zu neuen Kirchen wieder auftürmten.
    Aber wenn jemand so oft sagt, er hätte keine Angst vor dem Meer, dann sollte man mit diesen Geschichten vorsichtig zu sein.
    Besonders, wenn draußen der Wind heult und an Stärke zunimmt, wenn man jede Stunde das Radio anstellen muss und die Warnungen des Seewetteramtes Wort für Wort noch einmal durchbuchstabiert, wenn man auf das Telefon starrt, über das die Aufforderung zum Packen durchgegeben wird.
    Nicht, dass ich ein furchtsamer Mensch bin, aber ich habe Respekt. Und einen Film im Kopf.
    Romy musterte mein Gesicht.
    »Machen Sie sich um mich keine Sorgen«, sagte sie. »Ich bin schon einmal fast ertrunken. Mit einem Segelboot gekentert.«
    Nein, Angst vor dem Sturm und vor dem Meer, das sei vorbei. Im Gegenteil, sie müsse dankbar sein. Allen Grund hätte sie dazu. Und dann kicherte sie und sagte: »Sie dürfen eine alte Frau nicht so ernst nehmen. Ich hab das auch aufgegeben.«
    Wieder Kichern.
    Merkwürdig, in diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, als würde ich zu ihrem Leben gehören, als betraute sie mich mit einer Aufgabe. Einer wichtigen Aufgabe. Als ich sie ansah, nickte sie mir kurz zu. So, als wollte sie meinen Gedanken bestätigen.
    Heldmann balancierte meine Soßenkasserolle mit dampfendem Wasser durch die Tür.
    »Wer heiß trinkt, muss nachher nicht frieren«, sagte er.
    Ich erfuhr von Romy, dass sie einen »lebenswichtigen« Entschluss gefasst hätte. Heldmann zuckte zusammen und machte wieder einen Scherz.
    Alles in allem wurde es ein gemütlicher Abend. Und feierlich war er auch.
    Vom Rum beduselt und vom abflauenden Wind beruhigt, schlief ich fest in

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