Tod to go (Crime Shorties)
dieser Nacht. Es war mir egal, ob sich die Beiden zu ihrer mitternächtlichen Wandertour um die Hallig aufmachten. Die Tiere beruhigten sich, die Gefahr war vorüber.
Als ich am nächsten Morgen aufstand, saß Heldmann allein auf der Veranda.
»Und ihre Frau? Noch müde?«, fragte ich.
»Schläft noch«, sagte Heldmann und schaute mich mit wässrigen Augen an.
Er stieg gebückt mit einer Tasse Kaffee die Treppe hinauf und ließ mich mit meinen gekochten Eiern in der Veranda stehen.
Auch am nächsten Tag hörte und sah ich nichts von Romy.
Am darauffolgenden Vormittag erzählte mir Heldmann, dass seine Frau überstürzt abgereist sei. Sie hätte es nicht mehr ausgehalten. So mitten im Meer. Er wolle noch ein paar Tage bleiben, sich vor dem Alltagsstress etwas erholen.
Ich telefonierte mit Anna. Nein, völlig unmöglich, sagte sie. Es sei die letzten Tage kein Schiff zum Festland rübergefahren.
In den nächsten Tagen kam er nur zum Frühstück aus seinem Zimmer, um danach wortloswieder die Treppe hinaufzusteigen.
Nur eine Frage stellte er jeden Tag: »Wird es Sturm geben?«
Ich zuckte die Achseln. Da hatte er seine Frau ins Watt gebracht, sie getötet und jetzt nur die eine Frage: Wird es Sturm geben?
Am neunten Tag briste der Wind auf. In der Nacht, als der Sturm zunahm und die Wellen sich am Zaun vor dem Haus brachen, sich Meter für Meter zur Warft hinaufspülten, verließ er um Mitternacht sein Zimmer.
Ich ging zum Fenster und sah ihn im Licht die Scheunenlampe.
Da lief er durch die auslaufenden Wellen. Barfuß. Ja, ich konnte erkennen, dass er tanzte, das Haus umrundete, das Wasser im Walzerrhythmus trat, es aufspritzen ließ und seine Fußspitzen in den Schlamm bohrte.
Möglich, dass es Reue war. Oder Wahnsinn. Vielleicht hatte aber auch das Opfer seinen Mörder gerufen. Eines war sicher, Romy rief jetzt auch mich, forderte mich auf, meine Aufgabe zu erfüllen.
Ich streifte mein Ölzeug über, nahm ein Küchenmesser und ging hinaus.
*
Das ist jetzt zwei Monate her.
Das kranke Schaf konnte ich nicht mehr retten. Es liegt jetzt zusammen mit Heldmanns Leiche vier Meter tief unter dem Boden meiner Scheune.
Den Stuhl, auf dem Romy an ihrem letzten Abend gesessen hat, den habe ich in meiner Stube an den Esstisch gestellt. Niemand darf ihn benutzen. Das ist ein alter Brauch hier in der Nordsee. Ist einer draußen geblieben, dann bleibt sein Stuhl leer.
Die ersten Wochen habe ich jeden Tag nach der Flut den Strand abgesucht, doch sie hat sich gehalten in all den Gerippen da draußen. Sie werden ihr einen Platz gelassen haben, halten sie fest, damit sie nicht wegspült, wenn der Wind an den Häusern und den Menschen reißt und das Meer kocht.
Wenn ich aus dem Fenster blicke, die Schaumkronen der Brecher heranrollen sehe und die zerfetzten Wolken am Himmel zu einem Bild zusammenfüge, dann dringt von Zeit zu Zeit ihre Frage in mein Ohr.
»Angst vor dem Meer?«
Und dann bestelle ich bei Anna noch ein Bier und schaue hinaus auf die See.
Das Kreuz von Sylt
Das Stück Wurzelholz, das da vor mir lag, war gar kein Wurzelholz. Und auch kein Ast. Gleich neben meinem Pappteller und der Konservendose zeigte der mumifizierte Rest einer menschlichen Hand direkt auf mich.
Handteller, Daumen, Zeige- und Ringfinger und kleiner Finger. Nur der Mittelfinger fehlte. Die Knochen waren schief übereinander geschoben. Das Ganze sah aus wie ein verschobenes Kreuz.
Schön, wir hatten Nikolaus, aber wer wollte mich mit einer mumifizierten Hand überraschen? Ich saß also in meinem Heizungskeller und betrachte das seltsame Präsent. Gottseidank denk ich nicht so viel, sondern seh mir die Dinge lieber an.
Hinter mir zischte es im Heizungskessel. Ich musste mich unbedingt um die Anlage kümmern. Schon etwas betagt, das gute Stück. Braucht eine Menge Fürsorge und Zuneigung, damit sie uns etwas von ihrer Wärme abgibt. Ist fast wie bei den Menschen.
Ich kümmer mich also um die Wärme. Nicht, dass ich hier im Hotel angestellt wäre. Nein, das ist eine Art Gentlemans-Agreement. Freier Mitarbeiter, du verstehst?
Ich sorge dafür, dass es mit der Wärme da oben klappt und mit der hier unten auch. Und so lange es in den Zimmerchen oben schön warm bleibt, solange Herr Kruse aus Wanne-Eickel sich wohlig die Hände vor der Heizung reibt und Frau Elsbeth aus Idar-Oberstein ihren Rücken am Heizkörper schubbern kann, solange kommt auch niemand auf die Idee, in den Heizungskeller hinabzusteigen.
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