Tod to go (Crime Shorties)
aus.
Ihre grauen Haare waren durchwühlt und den Körper verbarg sie in einem schwarzen Umhang. Ihre Augen erinnerten an ängstliche Pferde, die im Begriff waren, durchzugehen.
»Ja?«, sagte sie.
»Ja«, sagte ich, »Es ist Weihnachten und da wollte ich mal fragen ...«
Ein junger Mann drängte sich an ihr vorbei.
»Verschwinden Sie, wir haben jetzt ganz andere Sorgen.«
»Da muss noch eine alte Decke im Keller sein«, sagte Isa Mutter. Ihr Sohn protestierte heftig, dann schüttelte er wütend eine Haarsträhne aus seinem Gesicht und verschwand im Innern der Wohnung.
Sie drückte mir einen Schlüssel in die Hand und sagte: »Da unten liegt eine Menge Plunder, nehmen Sie sich, was sie gebrauchen können. Sind auch noch ein paar Weckgläser mit Obst und Gemüse im Regal.«
Ich sah mich im Flur um und versuchte mir vorzustellen, wie Isa in der Küche herumgehopst war. Wie hatte sie wohl ausgesehen? Rote Friesenhaare? Oder eher dunkel wie die Braut von Klaus Störtebeker?
Ich stieg die Treppe zum Keller hinab. Im ersten Raum breitete sich das übliche Gerümpel aus. Eine Stehlampe hatte vermutlich jahrelang darauf gewartet, doch noch mal gebraucht zu werden, bis ihre Zeit endgültig überschritten war. Und jetzt war es ihr peinlich, sich zum Sperrmüll zu stellen. Was sollten denn die Leute denken, wenn man sich als Fünfzigerjahrekrempel im Keller verbarg? Dass die Hausbesitzer mit schlechten Zeiten rechneten?
Neben der Lampe zwei ramponierte Stühle, ausrangierte Klamotten und Bettwäsche in Plastiksäcken. An der Wand lehnte ein Fahrradwrack, dessen wichtigste Teile längst in anderen Rädern vor sich hinrosteten. Zwei in Vergessenheit geratene Säcke Torf, die nach dem Ausbau der Torfheizung nicht mehr wussten wohin, lagerten am Boden. In der Feuchtigkeit des Kellers verwandelte sich ihr Inhalt nach und nach wieder in den moorigen Grund, aus dem er einst entstanden war.
Ein rechteckiges Kellerfenster stand einen Spalt weit offen. Hatte Isa hier gespielt? Sich verkleidet? Sich hinter den alten Wäschekisten versteckt? Eine Holztür führte in einen zweiten Raum.
Er war völlig leer. Von der Decke baumelte eine Glühbirne und verstrahlte ein mattes Licht. In diesem Augenblick war es, als würde mir ihr Geist mit einem feuchten Finger auf die Schulter tippen.
Von den Wänden leuchteten grüne Bäume, in deren Ästen lilafarbene Vögel saßen, daneben brandete das Meer an einen Wald. Neben dem Abflussrohr vernebelte Gischt auf einem grün schimmernden Strand.
Seltsame Muscheln bewegten sich da entlang und aus dunklen Höhlen blickten Augen auf die Schildkröten, die ihre Hälse aus dem Nordseewasser erhoben. Auf den Bäumen versteckten sich kleine Kinder. Oder waren es kleine, nichtmenschliche Wesen? König Finn und sein Zwergenvolk?
Darüber leuchtete eine mächtige Sonne in einem Himmel aus Kruzifixen. Über allem schwebte der gekreuzigte Christus. Hatte Isa unter einem religiösen Wahn gelitten? Auch ein Kind in einer Krippe hatte sie immer wieder gemalt, daneben die Heiligen Drei Könige. Sie reichten dem Baby eine Stange aus Silber oder Gold. Die drei Heiligen trugen dunkle Anzüge, ihre Haare waren kurz geschnitten. Einer von ihnen streckte ein Kreuz über seinen Kopf. Eine Welt der Kreuze und der Heiligen.
Ich drückte die Klinke der nächsten Tür, doch sie war verschlossen. Hinter mir ein Geräusch und ich wusste, dass ich keine Chance mehr gehabt hätte, zu reagieren, mich zu schützen, mich vielleicht wegzudrehen oder fallen zu lassen.
Ich ließ die Decke zu Boden gleiten und drehte mich langsam um.
Wie ein Gebirgsmassiv fiel der Schatten von Heikedine Paulsen über mein Gesicht. Sie kam mir riesig vor.
»Hier gibt es sehr persönliche Dinge ...«
»Die Malereien, waren Sie das?«
»Meine Tochter”, sagte sie.
Ich folgte ihr die Treppe hinauf.
»Lebt wohl auf dem Festland?”
»Ja«, sagte sie.
*
Sam strich sich nachdenklich über die stoppeligen Haare.
»Was erwartest du? Die Frau hat ihre Tochter verloren und jetzt auch noch ihren Mann.«
»Aber sie muss doch wissen, wie ihre Tochter wieder auf die Insel gekommen ist. Es muss eine Anmeldung in dem Heim geben, Papiere und ärztliche Gutachten. Geld muss bezahlt werden. Ein Mensch stirbt doch nicht einfach und plötzlich taucht seine mumifizierte Hand hier wieder auf.«
Sam stippte eine Scheibe Ciabatta in meine Hummersuppe.
Das ganze Gegrübel half wie immer nichts. Ich musste warten. Der Himmel würde mir ein Signal
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