Tod to go (Crime Shorties)
versorgte die Schafe und Kühe auf der Lenkenwarft, trank meinen Tee, bekam mein Mittagessen und bereitete mir in meiner Stube unterm Dach mein Abendbrot.
Heute glaube ich, dass ich es ganz vergessen hatte. Vielleicht, weil ich jeden Sonntag einfach mit in die Kirche der Christen ging und dort zu meinem Gott betete. Was hätte ich auch tun sollen? Auf den Halligen gab es ja keine Synagoge.
Ich weiß nicht mal, ob das ein Rabbi gutgeheißen hätte. Klar, ich versuchte den Sabbat einzuhalten. So gut es eben ging. Und natürlich hatte ich einen Kalender mit den jüdischen Feiertagen.
Ich veranstaltete eine kleine Purimfeier und ehrte am Tu B’Shevat - dem Neujahr der Bäume - die Büsche und das Gras auf den Salzweiden. Waren ja keine Bäume da und das war gut so. Schließlich war ich deswegen mit meinem bösen Husten gekommen.
Ist wegen der Pollen, hatte mein Arzt in Berlin gesagt, und als ich das Gymnasium wegen meiner kranken Lunge abbrechen musste, schickte man mich an die Nordsee. Ich bin geblieben.
Den Chanukka-Leuchter, den Kiddusch-Becher für den Sabbat und die Gebetsschnüre hatte ich in einem Karton im Schrank verstaut. Und den Tallit, den Gebetsmantel, ordentlich zusammengefaltet darüber.
»Oder die SS erkundet die Möglichkeiten für einen Flugplatz«, sagte der Bürgermeister.
»Flugplatz?«
»Eine ideale Lande- und Startbahn. Wenn es erst so richtig losgeht, gegen Engeland. Für die deutsche Luftwaffe.«
Der Wirt winkte gelangweilt ab.
»Wahrscheinlich wollen sie die Hallig judenfrei melden. Mehr ist das nicht.«
Der Satz bohrte sich wie ein Blitz in mein Hirn.
»Die Geheimwaffe«, sagte ich. »Die U2 aus Peenemünde. Vielleicht bauen sie eine Rampe?«
Ich hatte das von einem Kapitän aufgeschnappt. Nur schnell den Juden vergessen machen, dachte ich.
Der Bürgermeister, der Wirt und die vier anderen Gäste sahen mich verwundert an.
»Ja«, sagte der Bürgermeister mit trockener Stimme. »Eine Rampe, das kann sein.«
Seine Miene hellte sich schlagartig auf.
»Eine Baustelle bringt Geld auf die Hallig.«
Da wären die Bauarbeiter und Soldaten, die verpflegt werden müssten. Ganz zu schweigen von den Unterkünften.
Hätte ich nur meinen Mund gehalten. Alles wäre anders verlaufen. Aber so schlug der Bürgermeister vor, dass ich den SS-Trupp »herumführen« solle. Ließ sich ein SS-Trupp »herumführen«? Von einem Juden?
Ich widersprach, gab wichtige Arbeiten vor, erwähnte zwei kranke Schafe, um die ich mich kümmern müsse, verwies darauf, dass man mich bei den Soldaten wegen meines bedenklichen Gesundheitszustandes nicht genommen hatte. Es half nichts, der Bürgermeister ließ sich nicht umstimmen.
»Du machst das schon.«
Am nächsten Tag stiegen zwölf Mann aus dem Boot und formierten sich mit ihrem Marschgepäck in Reih und Glied auf dem Anleger.
Der Bürgermeister zerknüllte seine Mütze in den rot behaarten Fäusten.
»Von Stein«, sagte der junge SS-Untersturmführer, der die Gruppe anführte.
»Unser Klaus wird ihnen alles zeigen«, sagte der Bürgermeister und drückte mich nach vorn.
»Ganz ausgezeichnet«, sagte der Leutnant.
»Ja, ähh ...«
»Ist noch was?«
»Ja, darf man ... also ich hätte gerne gewusst, warum sie hier sind. Ich bin schließlich die zuständige Amtsperson ...«
»Dürfen sie nicht«, sagte der Untersturmführer und inspizierte seine Leute.
Was sollte ich machen? Ich versuchte, sie zufriedenzustellen. Noch in der Nacht hatte ich meinen Karton mit meiner jüdischen Vergangenheit, meine Becher und Gebetsschnüre unter dem Schafstall vergraben.
Der Untersturmführer nahm vom Bürgermeister die Liste mit den Namen der Inselbewohner entgegen und dann ging es los.
Ich zeigte ihm die Brutplätze der Seevögel und schilderte ihm, wie die Hallig bei Flut aussah.
»Interessant«, sagte er.
Doch dann zogen wieder die harten Linien in sein Gesicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, das er mein Profil musterte. So, als wollte er dort Züge meiner jüdischen Herkunft entdecken. Doch das musste ich mir einbilden.
Ich erklärte, plapperte und weil mir bald nichts mehr einfiel, erfand ich Arten von Vögeln, die es gar nicht gab. Ich dachte mir eigenartige Brutmethoden aus und behauptete, dass einige Seevögel ihre Eier mit auf den Flug nehmen könnten. Rede, dachte ich. Rede. Wir Juden versuchen ja, selbst den lieben Gott zum Lachen zu bringen. Doch der hat zumindest Sinn für Humor.
Wie die Klinge eines Messers schnitt mir das Schweigen des
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