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Tod to go (Crime Shorties)

Tod to go (Crime Shorties)

Titel: Tod to go (Crime Shorties) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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eine Woche tot.
     
    Jetzt saß ich also an der Eider und sah hinüber zu diesem hässlichen Etwas, dass so viele Jahre ein lärmender, kleiner Hafen gewesen war. Man hatte ihm die Seele aus dem Leib gerissen.
    Neben mir im Gras lag das Bündel mit Briefen, die mein Vater geschrieben, aber nie abgeschickt hatte. Die Pflegerin aus dem Altenheim hatte sie mir zusammen mit der Brille, einem Anzug, seinem Ehering und der Uhr überreicht.
    »Ist einfach tot geblieben«, sagte sie. Und huschte zurück in den Bereitschaftsraum, in dem das Abendessen vorbereitet und die Medikamente zusammengestellt wurden.
    Für einen Moment erwog ich, die Briefe in einem Karton verschwinden und die alten Geschichten ruhen zu lassen. Doch dieses »Komm!« ging mir einfach nicht aus dem Kopf.
    »Du musst die Gespenster besuchen, sonst besuchen sie dich«, hatte er immer wieder lachend gesagt, wenn ich mich als Kind fürchtete.
    Ich sah hinüber zur Treidelstation, die immer noch auf dem Gelände der Betonfabrik stand. Die Besitzer hatten dem Haus einen neuen Anstrich verpasst. In den Jahren, in denen ich hier aufgewachsen war, hätte man sie am liebsten sofort abgerissen. Doch sie war das älteste Gebäude in Büdelsdorf und ein Wink mit dem Denkmalschutz hatte gewirkt.
    Jetzt war das Dach neu gedeckt, die Balken gestrichen und in die Räume die Firmenleitung eingezogen. Die Holzverschläge, in denen mein Vater seine Kaninchen gezüchtet hatte, waren ebenso verschwunden wie der Tauben-Anbau des Nachbarn.
    Im hinteren Teil des Hauses lagen die Keller. Ehemalige Boxen, in denen einst die Treidelpferde versorgt wurden, die an Seilen die Erz- und Holzfrachtschiffe die Eider heraufgezogen hatten.
    In den oberen Kammern hatten die Schiffer und Matrosen gewohnt, bevor man die Räumlichkeiten zu vier Wohnungen umbaute.
    »Besuche die Gespenster, sonst besuchen sie dich.«
    Ich war in einem alten Hotel in der Rendsburger Königinstraße untergekommen. Um mich herum wimmelte es von einer illustren, adligen Tafelrunde, denn dieses Straßenviertel war nach der Sitzordnung des dänischen Königshauses benannt. Königstraße, Prinzenstraße, Ritterstraße … Alles gruppierte sich um den Paradeplatz, denn Paraden, die waren schon damals wichtiger als jedes fürstliche Essen oder was man sonst noch so bei Hofe trieb, um die Zeit totzuschlagen.
    »Die müssen in den Königshäusern immer was zu tun haben«, hatte mein Vater gesagt. »Polo spielen, Rennen fahren, sich scheiden lassen. Alles besser, als wenn eine große Langeweile über sie kommt und sie mit dem Kriegspielen anfangen.«
    Doch was hatte mein Vater mit diesem Knochengerippe zu schaffen?
    Auf die Umschläge der Briefe hatte er in der linken unteren Ecke jeweils eine Ziffer geschrieben. Weil mir nichts Besseres einfiel, begann ich mit der »1«. Schon der erste Satz schlug in meinem Kopf ein wie ein Hammerschlag.
     
    »Sie haben Deinen Vater ausgegraben.«
     
    Ich sprang vom Bett und glättete den Brief auf dem kleinen Schreibtisch. Dann goss ich mir ein Glas Wein ins Glas und fuhr mit den Fingerspitzen über die Zeilen. Die Worte tanzten über das Blatt, Druckbuchstaben wechselten mit Schreibschrift ab und ich sah die gewaltigen Pranken meines Vaters vor mir, die ihm während eines Lebens harter körperlicher Arbeit gewachsen waren.
     
    »Wenn Du es gleich genau wissen willst, ich habe ihn umgebracht. Er hieß Dawid, stammte aus Krakau und ich habe ihn umgebracht.
    Er war die große Liebe Deiner Mutter.«
     
    Nie hatte ich am Verhalten meiner Mutter irgendeine Unstimmigkeit mit meinem … ja, meinem Stiefvater erlebt. Sie waren etwas gewesen, was man unter den Umständen der fünfziger und sechziger Jahre als ideales Paar bezeichnete.
    Und meine Mutter sollte eine große Liebe gehabt haben, der mein biologischer Erzeuger war?
    Sicher, mein Vater war schon eine eigene Type. Hatte Ecken und Kanten, doch senil war er keine Minute seines Lebens gewesen. Ja, er überraschte uns oft mit seiner Schlitzohrigkeit. Doch dies hier hatte nichts mit Bauernschläue zu tun. Sie hatten mich mein Leben lang angelogen. Und jetzt hielt ich seine Lebensbeichte in den Händen.
     
    »Deine Mutter ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und damals gab es nicht viel, das mir geholfen hätte, den Gedanken an sie zu verdrängen. Die Arbeit vielleicht. Und selbstgebrannter Korn. Es war im vorletzten Kriegsjahr. Wegen zweier Durchschüsse war ich frontuntauglich und als gelernter Eisengießer in die Carlshütte

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