Tod to go (Crime Shorties)
abkommandiert. Da, wo wir einst Öfen und Wannen gegossen hatten, lief die Rüstungsproduktion auf Hochtouren. Frauen saßen an den Öfen und sortierten Schrauben. Daneben Kriegsgefangene, die Panzerketten montierten.
Auch Dawid schaufelte Eisenerz in die Öfen.
Wenn die Menschen dreckverschmierte Gesichter haben, fällt dir jedes Lächeln auf. Und Deine Mutter lächelte Dawid zu. Wenn die Zwangsarbeiter in ihrer zerrissenen Kleidung durch die Halle schlurften, drehte sie sich zu ihm um und ich konnte sehen, dass ich keine Chance bei ihr hatte. Nicht die Spur.
Eines Abends sah ich die Beiden. Ich fuhr mit meinem Rad durch den Heckenweg. Gleich daneben in der Kampstraße waren die Zwangsarbeiter in einer Baracke untergebracht. Ich wusste zwar nicht, wie er es geschafft hatte, nach dem Einschluss das Gebäude zu verlassen, aber da standen sie im Schutz von zwei Bäumen. Hielten Händchen und lachten einander zu. Schmiedeten Pläne.
Ich war ein junger Mann. Und für mich stürzte eine Welt zusammen. Ich hätte die Schnauze halten sollen, aber ich fahre direkt in die Kneipe und kann das Maul nicht halten. Kann das Maul nicht halten.«
Im Schein meiner Hotel-Nachttischlampe nahm ich den mit der Ziffer »2« versehenen Briefumschlag und faltete die Blätter auseinander.
All die Jahre hatte es nicht die geringste Andeutung gegeben. Ja, ich wusste noch nicht einmal, dass es im beschaulichen Büdelsdorf überhaupt so etwas wie ein Arbeitslager gegeben hatte. Das »Barackenlager« allerdings kannte ich schon. Während meiner Jugend waren dort die italienischen Arbeiter untergebracht, die auf der Carlshütte mit am deutschen Wirtschaftswunder schufteten. Eines Nachts wurde es abgefackelt.
Wilde Gerüchte machten damals die Runde. Die Einen behaupteten, die Italiener hätten selbst schuld. Das Feuer sei beim Spaghetti-Kochen auf einer der Elektroplatten ausgebrochen. Die anderen schworen, dass es wohl jemandem zu bunt geworden sei, dass deutsche Mädchen jeden Abend vor der Baracke herumlungerten und auf ihre »Gigolos« gewartet hätten.
Ich saß in einem kleinen Hotelzimmer und das Wirtschaftswunder war längst eine nach Toast Hawai schmeckende Erinnerung. Doch in meiner Vorstellung loderten noch immer die Flammen über dieser Baracke. Nach all den Jahren spürte ich die unglaubliche Hitze auf meiner Haut. Ich sah die Feuerwehrleute, die achselzuckend vor dem brennenden Gebäude standen und mehr zur Unterhaltung der Schaulustigen zwei Wasserfontänen in die Flammen hielten.
Die Schrift meines Vaters wurde flüssiger. Die Buchstaben ordneten sich auf einer geraden Linie hintereinander.
»Lieber Marcel, ich kann mich an diese Nacht nicht erinnern. Auch nicht daran, wer mir alles Korn ins Glas füllte. Ich ertränkte meinen Liebeskummer und quatschte und hörte nicht mehr auf. Am nächsten Tag meldete ich mich krank.
Als ich am Tag darauf die Fabrikhalle betrat, war Dawid bereits nicht mehr da. Auf meinem Stehpult lag ein Zettel mit der Mitteilung, dass Dawid Kitschansky nicht zur Arbeit erscheinen werde.
Ich fragte den Meister, dann im Personalbüro und schließlich bei seinen Kollegen. Alle schüttelten den Kopf.
»Ist dir doch gerade recht«, sagte mein Meister. Und genau in diesem Augenblick wurde mir klar, dass sein Verschwinden mit meiner verfluchten Quatscherei zu tun haben musste.
Ich sah zu Maria hinüber, doch ihre Augen waren starr und ausdruckslos.
Hatte ich den armen Kerl in meiner Liebeskrankheit endgültig ans Messer geliefert? War er auf den Weg nach Neuengamme? Oder Buchenwald? Lebte er überhaupt noch? Saß er wegen »Rassenschande« in einem Gefängnis der Gestapo?
Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte Maria. Doch auch sie schüttelte den Kopf und beugte sich nur stumm über ihre Stanzmaschine.
Noch in dieser Nacht klopfte es zaghaft an meiner Tür. Klopfen! Es klang mehr, als wäre ein kraftloser Spatz gegen meine Tür geflogen.
Mit verweinten Augen stand Maria vor mir. Und sagte nichts.
Ich fragte, was passiert sei, doch sie sah mich nur an. Dann trat sie einen Schritt zur Seite und hinter ihr stand Dawid!
Ich war es, der ihn mit meiner blöden Quatscherei fast ans Messer geliefert hatte, und nun suchte er ausgerechnet bei mir Schutz!
Auch er blickte mich stumm an.
Eilig brachen wir die Verkleidung unten im Keller weg. Zum Vorschein kam ein kleiner Zwischendachboden, den ich vor vielen Jahren unten bei den alten Pferdeboxen entdeckt hatte.
Der Raum maß höchstens
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