Tod to go (Crime Shorties)
später, als er die Rechnung brachte, legte er den Finger auf die Wunde, lächelte und sagte: »Boxen«.
Branko war Mitte zwanzig. Stammte aus einem slowenischen Dorf und war nach Eckernförde gekommen, um Geld zu verdienen. Erst später erfuhr ich, dass er auf der Flucht war. Auf der Flucht vor einem Leben als Bauer, auf der Flucht vor dem verfallenen Hof und der Familientradition, die ihn morgens um vier mit klammen Fingern in den Stall trieb.
Die Gäste liebten Branko. Und er war unangefochtener Könner beim Zubereiten einer norddeutschen Spezialität: Holsteiner Sauerfleisch.
»Geheimrezept«, sagte er mal zu mir, nachdem ich ihn gebeten hatte, für mich das Rätsel dieses einzigartigen Geschmackserlebnisses zu lüften.
Irgendwann machte er doch ein paar Andeutungen.
»Du brauchst gutes Fleisch von der dicken Rippe oder auch ein Schulterstück.«
»Wär ich nie drauf gekommen.«
Branko lachte.
»Dann viel Geduld beim Ausprobieren.«
»Du willst nicht raus damit?«
»Eine Kombination von Gewürzen, Zitronensaft …«
»Und?«
»Zitronensaft, Senfkörner, Chilischoten, Lorbeerblätter, Zucker, Zwiebeln, Wachholderbeeren, Einmachgewürze … alles in einen Topf mit Wasser, normalem Essig und Essigessenz. Das Ganze anderthalb Stunden kochen, den Sud durch ein Wolltuch gießen und anschließend Gelatine rein.«
»Und jetzt glaubst du, dass ich es nachkochen kann?«
Branko blickte mich verschwörerisch an.
»Du kannst auch Hähnchenfleisch nehmen«, sagte er. »Aber nur von den Keulen.«
Ja, das gäbe Kraft für einen ordentlichen Punch.
»Das ist Alchemie«, sagte er und flüsterte den Namen des Grafen von Saint Germain. Eine undurchsichtige Figur, die es Ende des 18. Jahrhunderts nach Eckernförde verschlagen hatte und der hier am schlechten Wetter starb.
Über seine Familie redete Branko nicht. Zumindest nicht über die in Slowenien. »Mein Trainer ist so etwas wie meine Mutter«, sagte er und lachte. Ja, der behandle ihn wie eine Henne ihre Küken. »Meine Familie riecht nach Schweiß und Vaseline.«
Und diese Familie bekam Zuwachs. Einen Sponsor, der Milchprodukte verkaufen wollte und gleich die neue Richtung verkündete.
»Wir machen den Charming-Boy aus dir«, sagte der Werbechef, als er Brankos Hose mit dem neuen Schriftzug begutachtete.
»Der nette Junge mit dem harten Bums, der seinen Gegnern eigentlich nicht wehtun will. Die Leute mögen das. Bist einer von den Guten. Ein boxender Koch, das ist unschlagbar.«
Für Branko war es die Chance seines Lebens. Jetzt verließ er morgens um vier das Haus, um am Sandkrug-Strand seine Runden zu drehen. In der Mittagspause stemmte er Hanteln und Abend für Abend boxte er Sparringspartner, bearbeitete den Sandsack oder trainierte Stunde um Stunde mit dem Springseil. Als Übungsraum nutze er einen Fitnessraum der in Eckernförde stationierten Kampfschwimmer.
»Wabbelige Gelatine macht harte Muskeln«, sagte er und spannte seine Oberarmmuskeln an.
Ich weiß nicht, wie das überhaupt möglich war, aber irgendwann lernte er seine Freundin kennen. Eine Serbin.
»Scheiß auf den Krieg, das ist Vergangenheit«, sagte Branko.
Dann die Vorbereitungen auf den ersten Kampf in Neumünster. Mitgereist waren ein paar in Eckernförde stationierte Marinetaucher und Kampfschwimmer. Branko stieg ein wenig verlegen in den Ring und siegte in der ersten Runde. Auch den zweiten Gegner schlug er k. o. Der Sponsor jubelte, die ersten Manager zeigten Interesse an dem jungen Slowenen.
Doch beim dritten Kampf ging etwas schief. Er war schwer angeschlagen und nur ein zweifelhaftes Unentschieden hielt seinen Kampfrekord einigermaßen sauber.
»Wir haben von einem Meistertitel gesprochen!«, sagte der Sponsor in der Kabine. Der Trainer nahm ihn noch härter ran.
Seine Freundin war inzwischen in seine Mietwohnung in der Prinzenstraße eingezogen. Mit stolz vorgewölbten Bauch. Sechster Monat, schätzte ich.
Branko erhöhte seinen Taktschlag. Immer noch schickte er regelmäßig Geld nach Hause und bald war da die eigene kleine Familie, die er zu ernähren hatte.
Irgendwann kam der Trainer mit ein paar Spritzen. Branko lehnte ab.
»Wird tausendfach in der US-Armee eingesetzt«, sagte sein Trainer. »Die werden doch nicht ihre eigenen Leute umbringen, also stell dich nicht so an. Bist doch ein harter Hund.«
Branko schüttelte den Kopf. Der Trainer ließ nicht locker.
»Macht dich wach, Branko, keine Schmerzen mehr und jede Menge roter Blutkörperchen. Das sind
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