Tod to go (Crime Shorties)
sie mit Applaus begrüßt.
Vor sich sah Jan die Rückseite des Inselcafés. Von der Terrasse des Gebäudes auf der anderen Seite führte eine Brücke direkt auf den Deich. Über die Wiesen, mit ihren vereinzelt grasenden Schafen und Kühen hin zu den Betonbunkern, die man mitten in das Grün geklotzt hatte.
Sie sahen aus wie hässliche Kastelle. Wie Trutzburgen, in denen sich Touristen, die sich hier ein Appartement gekauft hatten, vor den Einheimischen in Sicherheit brachten. Es fehlten nur Zugbrücke und Burggraben.
Das Inselcafé schien sich nicht für diesen Ausblick zu interessieren. Das halbrunde, in das Dach eingelassene Fenster, war erblindet. Das Reetdach kam Jan vor wie der Kopf eines würdevoll ergrauten Menschen. Moos und andere Pflanzen wuchsen auf dem aschgrauen Reet. Grün leuchtender Efeu kletterte die Ziegelwände hinauf und begann das Dach zu erobern. Auf dem First ragten weiße Holzlatten auf, an denen der Blitzableiter befestigt war.
Der Bus setzte sich in Bewegung. Jetzt wird der Fahrer ihnen England zeigen, dachte Jan. Das gehörte zur Route. England hieß das nächste Dorf. Es hatte nichts mit der britischen Insel da draußen zu tun. England hier auf Nordstrand kam von »enges Land«. Ja, es wurde enger. Alles geriet außer Kontrolle.
Vielleicht sollte er es einfach ignorieren. Weitermachen wie bisher. Normal sein. Sich nichts anmerken lassen.
Während der folgenden Tage zog Lea sich immer mehr zurück.
Als sie eines Nachts aufstand, folgte er ihr in die Küche. Da saß sie, breitete auf dem karierten Tischtuch das Tagebuch aus und strich liebevoll über die Seiten. Er sah eine Träne über ihre Wange rollen. Sie litt. Wahrscheinlich hatte dieser Kerl auch sie angesprochen. Ja, plötzlich war er sich ganz sicher: Er musste mit ihr gesprochen haben!
Am liebsten wäre er zu ihr gegangen, hätte sie in den Arm genommen. Aber etwas hielt ihn zurück. Nein, er musste sie jetzt allein lassen.
Was hatte der Mann damit gemeint, als er ihn fragte, wie er das finden würde, wenn plötzlich der Vater von Alexander auftauchen würde? Und warum hatte er auf seine Nachfragen immer wieder gesagt: »Nein ganz allgemein«, und wie er das finden würde. »Rein theoretisch.«
Zeitungsschlagzeilen leuchteten vor Jans Augen auf:
»Inzucht auf Nordstrand« - »Bruder missbraucht seine Schwester« - »Behindertes Kind wurde versteckt« - »Unbescholtener Zeuge erschlagen.«
Der Kerl hätte schweigen und seiner Wege gehen sollen. Jetzt lag er im Silo. Und genau da gehörte er hin.
Das Telefon klingelte. Wieder Claasen. Er fragte noch einmal wegen des Hauses.
»Ich verkaufe nicht.«
»Was soll das heißen, du verkaufst nicht?«
»Ich verkaufe nicht. Niemanden. Schon gar nicht dir, Claasen.«
»Du musst es ja wissen.«
Ja, er musste es wissen.
Es lag jetzt in seiner Hand. Lea hatte ein Recht darauf, dass er es in Ordnung brachte.
Ruhelos wanderte er über die Insel. Am Deich setzte er sich auf einen Baumstamm und blickte auf das endlose Grau. Wolken jagten durch den Himmel. Er riss an einem Grasbüschel und plötzlich konnte er die Weite nicht mehr sehen. Er sah die Nachbarn, die mit Fingern auf Lea zeigten, sah den lachenden Claasen. Sie würden Lea durch den Dreck ziehen, sie fragen, wie es denn so sei, mit dem eigenen Bruder.
Weit nach Mitternacht stapfte er zurück auf den Hof. Die Kühe in der Scheune brüllten erschreckt, als er die Tür aufzog. Auf seiner Werkzeugkiste fand er ein Seil.
Jetzt brauchte Lea seine Hilfe. Er musste etwas tun. Da gab es keine Frage mehr.
Er wickelte die Enden des Stricks um beide Fäuste und spannte ihn. Dann ging er ins Haus. Zuerst in Leas Schlafzimmer. Und zehn Minuten später dann in Alexanders Kinderzimmer.
Ja, dachte er, als er die Schlinge auf den Küchentisch zusammenlegte, ich bin es ihnen schuldig gewesen. Niemand durfte über Lea lachen, niemand Alexander ins Heim stecken. Lea hatte diese Schande nicht verdient. Und das Haus würden sie auch nicht kriegen.
Er holte den Reservekanister vom Trecker und verschüttete den Diesel auf dem Holzfußboden. Wäre ja sowieso keiner mehr da, um die Gräber zu pflegen, dachte er.
»Wir wollen niemanden behelligen«, sagte e. »Wir nicht.«
Er sah, wie sich der Teppich vollsog, ein Rinnsal an Alexanders Spielzeugball vorbeilief, dann in einer Ritze versickerte. Leas Versteck! Er hob die Bohle hoch und zog das Tagebuch heraus.
»Kleine Geheimnisse«, sagte er laut. »Jetzt gehören sie für immer uns.«
Er
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