Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Teller.
»Wo Sie jetzt anscheinend mit im Boot sind«, meckerte er dann mit
vollem Mund, »ist ja wohl die Frage erlaubt, ob Sie bereits etwas über das
gestrige Attentat herausgefunden haben.«
»Immerhin so viel«, erwiderte ich, »um zu wissen, dass von Attentat
eigentlich nicht die Rede sein kann.«
Hillgruber zog eine Schnute. »So, das wissen Sie also schon.«
»Herr Noteboom hat einige Drohbriefe erhalten, die darauf schließen
lassen, dass es sich nicht um eine politisch motivierte Tat handelt.«
»Und dass der Schreiber der Drohbriefe der Täter ist, das wissen Sie
auch schon?«
»Nicht hundertprozentig, aber ich gehe davon aus. Haben Sie schon
einmal vom Geist der blutigen Weihnacht gehört?«
Hillgruber musterte mich genervt. »Soll das jetzt ein literarisches
Ratequiz werden? Wollen Sie mich etwa in Charles Dickens prüfen?«
»Dort gibt es nur drei Geister: den der vergangenen, den der
jetzigen und den der zukünftigen Weihnacht. Aber keinen der blutigen Weihnacht.«
Der Generalsekretär wedelte unwillig mit seiner Serviette. »Aber das
ist doch wohl mit den Händen zu greifen, mein Lieber, dass wir es nicht mit
einem wirklichen Geist zu tun haben. Wer auch immer sich dahinter verbirgt,
kann dies aus allen möglichen Gründen tun.«
»Wüssten Sie denn einen?«, fragte ich.
»Sabotage eines politischen Prozesses. Die Bündelung zweier
wichtiger Kräfte: Münsterlandpartei und Allgemeine Deutsche Autofahrerpartei
gehen Hand in Hand. Ziehen in den Landtag ein und führen eine politische Wende
auf ganzer Ebene herbei. Vielen mag das nicht passen.«
»Da gebe ich Ihnen recht«, sagte ich und erntete einen weiteren
finsteren Blick.
»Wissen Sie, wer Aushängeschild und Sprachrohr dieser Wende war?«
»Noteboom?«, riet ich.
Gnädiges Nicken. »Sie sehen also, dass wir es hier nicht einfach nur
mit einem Mord zu tun haben, Herr Frings. Das Ganze hat eine hochpolitische
Dimension.«
Eine Weile aßen wir schweigend. Die einzigen Geräusche waren Kauen,
Schmatzen und das Klappern des Bestecks.
»Wie nahe standen Sie denn Herrn Noteboom?«, fragte ich nach einer
Weile.
Hillgruber legte Messer und Gabel zu beiden Seiten des Tellers ab.
Er lehnte sich zurück und begann, mit seinem linken kleinen Finger zwischen
seinen Zähnen zu pulen. »Diethardt Noteboom«, erklärte er feierlich, »war ein
mutiger Mann. Der erste und vielleicht der einzige, der sich offensiv für die
Rechte Bessergestellter einsetzte, und zwar ohne Rücksicht auf kleinliche
Meinungsumfragen. Sie werden jetzt sagen: Bessergestellte? Was sollen die denn
für Rechte haben? Wenn es nach der Mehrheit all der Neidverdrossenen in diesem
Lande geht, dann sollten wir sie doch besser zum Abschuss freigeben, nicht
wahr?« Der Hamster nahm den Finger aus dem Mund und starrte mich an, ganz so,
als ob er tatsächlich auf mein Okay wartete. Aber dann zog er es vor, seinen
Vortrag fortzusetzen: »Sehen Sie, Herr Frings, hierzulande ist man gewohnt,
Freiheit eng zu definieren. Als etwas, das bei der Freiheit des anderen endet.
Aber wir von der MSP sind der Auffassung, dass
sie da eben nicht enden sollte. Wir bevorzugen einen weiter gefassten
Freiheitsbegriff. Freiheit ist für uns nicht nur ein Grundrecht, sondern vor
allem innovatives Potenzial, verstehen Sie? Deshalb treten wir dafür ein,
Sozialneid als Vergehen einzustufen und unter Strafe zu stellen.«
»Könnte ich vielleicht noch von der Soße haben?«, fragte ich.
Der Generalsekretär schnappte sich die Sauciere und goss die sämige
Flüssigkeit bis zum letzten Rest über seinen Kloß. Dann überließ er mir wortlos
das leere Geschirr. »Wissen Sie, was Diethardt zu sagen pflegte: ›Immer, wenn
jemand sich einen neuen Pool leisten kann, dann ist das neidische Gejammer
groß, dabei sollte das für alle Benachteiligten dieser Gesellschaft ein Grund
zum Feiern sein.‹ Denn ein Pool pflegt sich nicht von allein: Jemand muss ihn
sauber halten, das Wasser filtern und so weiter. Das mag sich banal anhören,
ist aber das Grundprinzip unserer Wirtschaftsordnung. Je mehr Leute sich Villen
leisten, desto mehr Menschen, die sich keine Villen leisten können, werden
benötigt, um die Gärten dieser Villen in Ordnung zu halten. Warum? Weil die Leute,
die sich die Gärten leisten können, wichtigere Dinge zu tun haben, als sie in
Ordnung zu halten.«
»Die Benachteiligten der Gesellschaft«, übersetzte Hermine für mich,
als hätte Hillgruber Japanisch gesprochen, »sind Diethardt immer ein
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