Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Noch einmal winkte
ich Mönninghoff zu, da er in meine Richtung zu sehen schien, aber auch jetzt
reagierte er nicht.
»Klopf, klopf!«, sagte es plötzlich direkt über mir. Ottmar Noteboom
stand neben meinem Tisch und grinste. Er trug einen alten, fleckigen
Lodenmantel, der so aussah, als habe er lange Jahre als Berufskleidung in einem
Schlachtbetrieb gedient. Farblich harmonierte er perfekt mit seiner verfilzten
Mähne. »Tolles proletarisches Outfit«, lobte ich.
Noteboom setzte sich ungefragt an meinen Tisch. »Hätte nicht gedacht,
Sie in diesem Nobelschuppen anzutreffen.«
»Das nennen Sie einen Nobelschuppen? Immerhin gehen hier jede Menge
arme Schlucker ein und aus, hab ich mir sagen lassen.«
»Ach, Blödsinn! Das ist doch alles Attitüde. Mein lieber Herr
Bruder, wie er leibt und lebt.« Noteboom grunzte. »Alles verlogener Scheiß.«
»Was hat denn Ihr Bruder damit zu tun?«
»Wirklich, wie er leibt und lebt. Aber inzwischen hat er ja mit
beidem aufgehört.«
»Sie scheinen ihn ja nicht gerade zu vermissen.«
Noteboom antwortete nicht. Er war damit beschäftigt, sich über den
verlogenen Scheiß zu ärgern. »Sehen Sie sich doch um, Frings: Entdecken Sie
hier einen Einzigen, der auf Unterstützung angewiesen ist? Fehlanzeige! Das
sind alles reiche Säcke: Anwälte, Therapeuten, Studenten aus gutem Haus.
Intellektuelle, die keine Demo gegen rechts auslassen, aber ihr Kind von der
Schule nehmen, weil zu viele Ausländer in der Klasse sind. Diese Sorte.«
»Noch mal zu Ihrem Bruder: Sie beide waren nicht gerade das, was man
ein inniges Geschwisterpaar nennt, nicht wahr?«
Ottmar Noteboom griff nach meiner Teetasse und schnüffelte daran.
»Mein Bruder ist seinen Weg gegangen und ich den meinen«, brummte er. »Mir
waren politische Inhalte immer wichtig, ihm waren sie egal. Hauptsache, er kam
weiter nach oben. Tja, wenn man Macht essen könnte, so wäre Korruption ihr
süßer Nachgeschmack, nicht wahr?«
»Nur zu«, forderte ich ihn auf. »Trinken Sie ruhig.«
Er nippte tatsächlich an dem lauwarmen Gebräu. Einen Schluck und
noch einen. Dann setzte er die Tasse ab und kam wieder auf den verlogenen
Scheiß zu sprechen. Schimpfte über diese bürgerlichen Typen, Salonlinke, die
sich ein gutbetuchtes soziales Gewissen leisteten und ihre Solidarität mit den
Unterdrückten per Bankeinzugsverfahren abwickelten. Ein Thema ergab das andere,
Entrüstung und Abscheu wuchsen von Minute zu Minute, und ich hatte immer
weniger den Eindruck, dass das zu irgendeinem Ende führte. Noteboom war wie
entfesselt.
»Weißt du, was ich immer sage«, drang er zu mir durch, als ich
längst jedes Zeitgefühl verloren hatte. »Die Leute begreifen einfach nicht,
dass links sein nicht nur Lifestyle ist. Nur Gehabe, verstehst du? Und dass es
nicht nur mehr ist als das, sondern im Gegenteil etwas völlig anderes. Etwas
völlig Neues. Begreifst du den Unterschied?«
»Den Unterschied?«, fragte ich müde. »Zwischen was?«
»Zwischen etwas, das nicht nur mehr als etwas anderes ist, und
etwas, das etwas gar nicht ist. Sondern völlig anders als das andere Etwas. Ein
völlig neues Etwas.«
»Tut mir leid«, sagte ich, »aber ich geh jetzt erst mal aufs Klo.«
»Klar, Mann«, versetzte er unbeeindruckt. »Tu, was du tun musst. Ich
merk mir solange, was ich sagen wollte, was?«
Die Toiletten befanden sich eine Treppe tiefer. Während ich da unten
im weiß gekachelten Raum vor dem Urinal stand, stellte ich mir vor, wie er oben
an meinem Tisch wartete, die leere Teetasse ungeduldig in seiner Hand drehend,
vielleicht tropfte schon der eine oder andere Satz aus seinem Mund, weil er ihn
nicht zurückhalten konnte. Ottmar war eine Hyäne, darauf spezialisiert, sein
Opfer durch todbringendes Gequassel zu zermürben und schließlich zu verdauen. Ich merk mir solange, was ich sagen wollte . Diese Drohung
durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Kurz entschlossen schlich ich die Treppe hinauf, nahm Deckung hinter
dem Mantelständer und lugte hinüber. Die Hyäne hockte in Lauerhaltung am Tisch,
aber sie sah in die falsche Richtung. Eiskalt nutzte ich diesen Vorteil, um
mich zu verdrücken.
Draußen schwang ich mich auf das frisch reparierte Fahrrad und
radelte davon. Leider kam ich nicht sehr weit. Gerade wollte ich aus der
Einfahrt des Hofes in die Straße einbiegen, als ich hinter einem Busch eine
Bewegung wahrnahm. Noch bevor ich reagieren konnte, traf mich ein fetter
Schneeball mitten ins Gesicht. Ich machte eine
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