Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Sie hat den Hof gekauft und diese Initiative
gegründet.«
Wir traten ein. Wohlige Wärme umfing uns und das Aroma von
Weihnachtsgebäck und Kaffee. Für meine Begriffe wirkte die Idylle etwas bemüht.
Alles war eine Spur zu akkurat und blitzsauber. Weihnachtsschmuck aus rötlich
schimmerndem Aluminium belegte jede Fensterbank, hing von der Decke und
schmückte den obligatorischen Baum in der Ecke. Auch die Bediensteten des Cafés
trugen Weihnachtszipfelmützen. Dezente klassische Musik tat ihr Übriges, um für
vorfestliche Atmosphäre zu sorgen.
»Was für ein seltsamer Name für ein spießiges kleines
Ausflugslokal«, meinte ich.
»Das ist kein Ausflugslokal.« Conny schüttelte den Kopf. »Von der
Gesellschaft Bevorzugte kommunizieren hier mit den von ihr Benachteiligten auf
Augenhöhe, so hat es Frau Tiedemann ausgedrückt. Für sie ist es kein Lokal,
sondern ein lokales Projekt.«
»Von mir aus«, sagte ich. »Hauptsache, die haben leckeren Kaffee.«
»Es ist eine erwiesene Tatsache, dass Reichtum nicht glücklich
macht. Jeder dritte Gutverdienende ist unzufrieden. Und jeder fünfte
suizidgefährdet. Arme und hilfsbedürftige Menschen dagegen sind meistens
unkompliziert und verfügen über einen großen Schatz an Lebensweisheit.«
»Ist das auch eine erwiesene Tatsache?«
»Egal«, meinte er, »jedenfalls kann jeder vom anderen profitieren.
Ein Investmentbanker zum Beispiel, der unter Stress und Burnout leidet, findet
hier ein offenes Ohr. Und der Benachteiligte, der ihm das Ohr leiht, erhält im
Gegenzug vielleicht die Gelegenheit, sich was dazuzuverdienen, indem er den
Sportwagen seines Tischgenossen winterfest macht. So springt für beide etwas
heraus. Geben und nehmen.«
Jetzt, wo er es sagte, fiel es mir auf: Alle Tische hielten diskret
Abstand zueinander. Es gab auch lauschige Nischen, in denen Investmentbanker
mit Hartz- IV -lern zusammensitzen und seelisches
Glück gegen haushaltsnahe Dienstleistungen tauschen konnten. Einer der Gäste
kam mir irgendwie bekannt vor. Ja, richtig, es war Mönninghoff, der
Personalchef in Schuberts Weihnachtsfirma. War er hier, um zu geben oder zu
nehmen? Ich nickte ihm zu, aber er tat so, als kenne er mich nicht.
Löwenich holte uns Kräutertee und eine Schale mit Keksen. »In der
Woche vor dem Fest gibt es hier sogar eine Bescherung«, erklärte er. »Für die
einen die Gelegenheit, endlich mal in den Genuss eines Flachbildschirms zu
kommen, für die anderen ist rechtzeitig zu Weihnachten endlich mal Platz im
Keller.«
»Geben und nehmen«, nickte ich. »Sag mal, als guter Geist des Hauses
hast du doch sicher mitbekommen, wie es zwischen der Tiedemann und Noteboom
bestellt war.«
»Du, ich weiß gar nicht, ob ich über solche Interna sprechen darf …«
Er zierte sich wie ein Arzt, der um sensible Patientendaten gebeten wurde.
»Also gut, wie wär’s dann mit noch einem Zwanziger?«
Löwenich zuckte mit den Schultern. »Na schön, da gibt es auch nicht
viel zu erzählen. Zwischen den beiden war nichts bestellt.«
»Nichts? Wie meinst du das?«
»Guten Morgen, Schatz. Wann gibt es Essen, Schatz? Wie war dein Tag,
Schatz, und Gute Nacht, Schatz. Das war’s auch schon.«
»Also tote Hose. Irgendeinen Grund dafür?«
Wieder Schulterzucken. »Vielleicht, weil Frau Tiedemann nicht die
Frau ist, die sich was aus lebenden Hosen macht. Und was Herrn Noteboom angeht,
so soll er ja angeblich nichts anbrennen gelassen haben.«
»Er ist fremdgegangen? Das könnte immerhin erklären, dass sie sauer
auf ihn war.«
Conny schüttelte wieder den Kopf. »Was immer er am Laufen hatte, sie
ahnt nichts davon.«
»Wie kannst du da so sicher sein?«
»Ich habe einmal ein Telefonat zwischen der Tiedemann und einer
Freundin belauscht. Sinngemäß sagte sie, dass sie keine stärkere und gerechtere
Kraft kenne als die Eifersucht. Und dass, wenn ein Mensch einen schändlich
hintergehe, eben geschehe, was geschehen müsse.«
»Was muss denn geschehen?«
»In einem solchen Fall habe sie sogar gegen Mord nichts einzuwenden,
hat sie gesagt.«
»Na, so was sagt man vielleicht leichthin.«
»Sie nicht. Die Frau ist Medea persönlich. Ich hab ihr jedes Wort
abgekauft.« Conny schnappte sich seine Pudelmütze und erhob sich. »Jetzt muss
ich los. Lass dir ruhig Zeit mit dem Tee.«
»Danke noch mal für die Reparatur!«, rief ich, aber er war schon
weg. Da saß ich nun mit dem Tee und hatte keine Lust, mir mit ihm Zeit zu
lassen. Er wurde nur kalt und damit komplett ungenießbar.
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