Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
mich mal …«
Die beiden stritten wie ein altes Ehepaar und es war kein Ende
absehbar. Immer mehr Dinge kamen auf den Tisch, die von letztem Jahr, dann die
von vor fünf Jahren. Hin und wieder versuchte ich mich zu melden und daran zu
erinnern, dass der Chef, der sich angeblich auf meinen Besuch freute, darauf
bestimmt nicht ewig warten würde, jedenfalls nicht mit der gleichen Vorfreude,
aber die beiden beachteten mich nicht. Wir befanden uns irgendwo auf dem Ring
in Richtung Gievenbeck. Links wies ein weißes Schild in Richtung HNO und Zahnklinik. In den Fenstern der Klinikgebäude
blinkten weihnachtliche Lichterketten und Sterne. Kurz entschlossen drückte ich
die Klinke hinunter, öffnete behutsam die Wagentüre und schlüpfte möglichst
lautlos aus dem Auto. Der Streit der beiden, der unvermindert weitertobte,
klang von hier draußen wie das Summen zweier Fliegen, die man in einer Dose
eingesperrt hatte.
10
Auf dem langen Weg zurück in die Innenstadt begann es zu
schneien. Anfangs waren es nur vereinzelte Flocken, die lautlos und wie
zufällig vom Himmel segelten, aber es wurden mehr, und schließlich herrschte
ein fettes Schneetreiben, ganz so, wie man es aus amerikanischen
Weihnachtsfilmen kennt. In diesen Schmachtstreifen tanzten die Leute spontan in
der weißen Pracht und veranstalteten ausgelassene Schneeballschlachten, während
allenthalben Schlitten daherglitten, an denen lustige silberne Glöckchen
baumelten.
Die Wirklichkeit sah allerdings wesentlich nüchterner aus. Das nasse
Zeug klatschte einem unaufhörlich ins Gesicht, es schmolz und floss eiskalt den
Nacken herunter. Die wenigen Autos, die unterwegs waren, schlichen im
Schritttempo dahin, also versuchte ich erst gar nicht zu trampen. Meine einzige
Freude war es mit anzusehen, dass den Radfahrern, sonst mit Abstand die unverschämtesten
Verkehrsteilnehmer in dieser Stadt, nichts anderes übrig blieb, als demütig von
ihrem hohen Ross zu steigen und es kleinlaut durch den Schnee zu schieben.
Vor unserem Haus lief mir Aristides über den Weg, der um diese
nachtschlafende Zeit damit beschäftigt war, in seinem Restaurant eine alte
Leuchtreklame in Form eines Eurozeichens als Weihnachtsdekoration anzubringen.
Ich half ihm dabei und er spendierte uns ein paar Ouzos, sodass die Nacht noch
einen gemütlichen Ausklang nahm. Aristides zeigte mir stolz seine Spendenbox –
der ausrangierte Opferstock aus einer Kirche, mit dem er zufriedenen Gästen die
Möglichkeit gab, ihren Beitrag zu einem quasi privaten Rettungsschirm zu
leisten. Erst eine Woche stand das Ding da und war schon jetzt so schwer, dass
man es nicht mehr hochheben konnte. Auch ich versenkte einige Scheine,
schließlich konnte ich es mir leisten. Ein Tag Arbeit für ein fürstliches
Honorar. »Man sagt es nicht gern«, erklärte ich Aristides, »aber so tragisch
ein frühzeitiges Ableben eines Klienten für ihn selbst ist, erweist es sich
finanziell gesehen für unsereins doch oft als Glücksfall.«
Wir stießen an, er goss weiter nach und ich stockte den Rettungsschirm
noch einmal auf.
Nach dem Aufwachen brauchte ich noch eine geraume Weile, bis ich
mich fragte, wie und wann ich es von unten aus dem Restaurant herauf in meine
Wohnung und in mein Bett geschafft hatte. Es war schon später Vormittag. Ich
kämpfte mich aus dem Bett und wankte ans Fenster. Draußen lag alles unter einer
weißen Schneedecke. Auf dem Bremer Platz, der für seine Verhältnisse geradezu
idyllisch wirkte, tummelten sich Kinder mit ihren Schlitten. Vor dem
Hauptbahnhof gaben Streufahrzeuge ihr Bestes. Aristides stapfte gerade mit zwei
vollen Einkaufstüten durch den Schnee, bemerkte mich und winkte zu mir hinauf.
Ich winkte zurück. Sein freundliches Grinsen rief die Erinnerung an den
nächtlichen Rettungsschirm zurück. Wie viele Scheine hatte ich Idiot wohl
gestern mit besoffenem Kopf in seine altertümliche Sammelbüchse gesteckt?
Lustlos verschlang ich Toast, der nicht schmeckte, mit Marmelade
weit jenseits des Haltbarkeitsdatums, während sie im Radio neben den üblichen
Live-Berichterstattungen von diversen Weihnachtsmärkten die Nachricht vom Tod
des »Münsteraner Obama« servierten. Die parteiinternen Aufpasser in
Nadelstreifen hatten offenbar wirksam dafür gesorgt, dass alle peinlichen
Details der gestrigen Nacht unter dem Teppich blieben, sodass über die näheren
Umstände von Notebooms Tod nur wild spekuliert werden konnte. Ein ausführlicher
und salbungsvoller Nachruf machte deutlich, was für
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