Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
vollgestopft mit Bildern
der Ermordeten aus allen erdenklichen Lebensphasen: Silke Klamm als Baby, als
Schulanfängerin, Silke Klamm mit ihrem ersten Telefon, dann mit ihrem ersten
Mann, mit dem Kegelclub unterwegs, Silke Klamm von heute, im Garten
telefonierend. Schließlich noch eins, das man nicht so recht einordnen konnte:
Es zeigte eine Frau, von der ich annahm, dass sie Frau Klamm war, zusammen mit
drei Männern. Alle waren schätzungsweise Ende zwanzig und trugen das Haar lang
und strähnig, die Daumen auf damals coole Art und Weise in die Seitentaschen
ihrer Jeans gehängt. Einer der Männer schwenkte ein Plakat, auf dem stand: no pasarán! Offenbar war die Aufnahme auf einer
karnevalistischen Veranstaltung entstanden, und ich hätte ihr auch weiter keine
Beachtung geschenkt, wenn mir nicht der Typ direkt neben der Klamm bekannt
vorgekommen wäre. War es der Blick, die Haltung oder die grobporige
Gesichtshaut, die selbst auf diesem leicht unscharfen Bild gut zu erkennen war?
Brachte sie mich auf die Idee? Jedenfalls war ich mir ziemlich sicher, dass der
Mann Thilo Strumpf war. Das war weiter nicht verwunderlich, Gorbitsch hatte
erwähnt, dass Silke Klamm Strumpfs Fan gewesen war.
Aber jetzt kam noch dazu, dass der ADAP -Mann
Gorbitschs Klient war. Das ließ alles dann doch in einem etwas anderen Licht
erscheinen. Möglicherweise war Strumpf die Verbindung zwischen Gorbitsch und
der Klamm. Alles schien mit allem zusammenzuhängen.
Sicherheitshalber öffnete ich den Rahmen, zupfte das Karnevalsfoto
heraus und steckte es ein. Dann hängte ich den Bildhalter wieder auf und
verdrückte mich.
Pünktlich zum Mittagessen war ich zurück in der »Taverna
Pitsidia«. Aristides ließ sich widerstrebend dazu überreden, mir statt Lamm in
Zitronensoße eine doppelte Portion Pommes mit Majo zu servieren. Trotzdem hatte
ich nicht lange Freude daran. Gerade mal zwei oder drei Pommes hatte ich
verdrückt, da öffnete sich die Tür, und ein Gast polterte herein – nach dem
Äußeren zu urteilen der Weihnachtsmann, der nach dem Ende seiner Karriere dem
Alkohol und der Drogensucht verfallen war –, sah sich kurz um und nahm direkten
Kurs auf meinen Tisch.
»So trifft man sich wieder, was?«, begrüßte mich Ottmar Noteboom.
»Eigentlich ist noch geschlossen«, sagte ich, aber das hielt ihn
nicht davon ab, Platz zu nehmen.
»Hab mich gefragt, wo du geblieben bist.« Er rülpste. »Vorgestern,
du warst auf einmal weg und tauchtest nicht wieder auf. Hab mir schon Sorgen
gemacht.«
»Tja«, sagte ich. »Ein Notfall. Ein Klient hat angerufen, und ich
musste sofort los.«
Er schien mir das tatsächlich abzunehmen. »Da kann man nichts
machen«, meinte er. »Manchmal lassen sie einen eben nicht mal in Ruhe pinkeln,
was?«
Ich grinste bestätigend.
»Also, um kurz zu Ende zu bringen, was ich neulich sagen wollte …«
Ich verschluckte mich und hustete. Er klopfte mir mit der flachen
Hand auf den Rücken. »Alles okay?«
»Leider nein«, röchelte ich. »Ich fürchte, das war’s wohl mit dem
Mittagessen.«
Aristides kam zu unserem Tisch. »Stimmt was nicht mit dem Essen?«
»Geht schon wieder«, sagte ich. »Doch, doch, die Pommes sind
wunderbar.«
Er wandte sich an Noteboom. »Kann ich Ihnen etwas bringen?«
»Was haben Sie denn so anzubieten?«, erkundigte sich der ungebetene
Gast gespannt.
»Das heutige Tagesgericht ist Lamm in Zitronensoße.«
»Hört sich lecker an«, sagte Ottmar und knuffte Aristides in die
Seite. »Für einen Griechen genau das Richtige, was?«
»Sie sind Grieche?«
»Alle, die an der Seite der Unterdrückten stehen, sind Griechen.«
»Eigentlich machst du doch erst heute Nachmittag auf, oder nicht?«,
soufflierte ich und wandte mich erneut an Noteboom: »Jetzt ist noch
geschlossen.«
»Klar.« Er deutete auf meinen Teller. »Das sehe ich.« Dann fiel sein
Blick auf den Opferstock, und Aristides beeilte sich, ihm die Bewandtnis zu
erklären. Worauf Ottmar sich beeilte, ein paar Scheinchen zu spenden. Und damit
hatte er gewonnen. Obwohl der Wirt genau wusste, dass eigentlich geschlossen
war, kredenzte er Noteboom umgehend einen Gratis-Ouzo.
»Ihr Linken seid doch alle gleich«, sagte ich patzig, während mein
Gegenüber seine dicke Brieftasche wieder einsteckte. »Redet von Umverteilung
und stinkt vor Geld.«
»Wahre revolutionäre Freigiebigkeit besteht darin, die Reichtümer zu
teilen, die man nicht hat«, dozierte er. »Che Guevara, glaub ich. Oder
Chruschtschow, weiß nicht so
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