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Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Titel: Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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sagte Ottmar. »Abends bekommt sie einen
Preis verliehen und dann hat sie noch Interviewtermine. Das kann spät werden.«
    »Und was hast du hier verloren?«
    »Zu Besuch«, erklärte er. »Außerdem sehe ich ein wenig nach dem Rechten.
Meine Tochter hat einfach zu viel um die Ohren.«
    »Deine Tochter?« Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Die Bolzenius
ist deine Tochter?«
    Ottmar sah mich schräg an. »Du sagst das so, als wärst du damit
nicht einverstanden.«
    »Immerhin«, sagte ich, »ist diese Frau dringend verdächtig, deinen
Bruder umgebracht zu haben.«
    »Meinen Bruder.« Ottmar kicherte. »Da lache ich aber.« Er machte
sich auf den Weg in die Küche. »Fühl dich wie zu Hause, Kollege«, meinte er.
»Ich hol uns nur was zum Knabbern.«
    Es war eine dieser Wohnungen, in denen man gleich beim Eintreten
aufgefordert wurde, die Schuhe auszuziehen. Tipptopp gepflegt. Der Geruch von
Putzmitteln lag unaufdringlich, aber auch unverwechselbar in der Luft. Weiße,
flauschige Auslegeware bedeckte den teuren Parkettfußboden. Und von der
Eingangstür bis zur großen Fensterfront mit Blick auf den Kanal war es so weit
zu gehen, dass man froh war, in der Küche einkehren zu können, um sich für den
Rest des Weges zu stärken.
    Natürlich war die Wohnung festtagsgerecht durchdekoriert.
Blaumetallic war der stilgebende Farbton. Sterne, Kugeln und Kerzen, alles in
Blau. Neulich beim Zahnarzt hatte ich einen Zeitungsartikel gelesen: »Welcher
Weihnachtsschmucktyp sind Sie?« Seitdem wusste ich, dass die Farbe Blau von
Karrieremenschen bevorzugt wurde. Kühles Blau, festlich zwar, aber nicht
herzlich, zum Zeichen, dass einem im Leben nichts geschenkt wird.
    In der Mitte des Wohnzimmers stand ein riesiges Aquarium, blau
erleuchtet mit großblättrigen Pflanzen und einem Taucher aus Plastik, aus
dessen Helm Sauerstoffblasen blubberten. »Wieso sind hier keine Fische drin?«,
fragte ich.
    »Fische sind Susanns Hobby.« Ottmar kam zurück mit einem Teller
Zimtsterne. »Nicht irgendwelche x-beliebigen, sondern exotische Fische. Aber
wie das so ist: Sie hat keine Zeit, sich um sie zu kümmern.« Er hielt mir den
Teller hin. »Hier, bedien dich, Bruder«, forderte er mich auf. »So eine Nacht
auf der Piste ist ganz schön anstrengend.«
    Ich probierte einen. »Gar nicht schlecht.«
    »Du verdächtigst sie also?«, fragte er mit vollem Mund. Das schien
ihm gar nichts auszumachen, im Gegenteil, er hörte sich erfreut an, und es
klang fast enttäuscht, als er sagte: »Meine Tochter hat ihn nicht umgebracht.«
    »Klar«, sagte ich. »Als Vater traut man seiner Tochter keinen Mord
zu.«
    »Meine Tochter«, erklärte Ottmar, »ist außergewöhnlich begabt und es
gibt praktisch nichts, was sie nicht kann. Und deshalb ist es ihr durchaus
zuzutrauen.« Er aß noch einen Keks. »Nur manchmal fehlt es eben an der
Gelegenheit.«
    »Du meinst, sie hätte deinen Bruder umgebracht, wenn sie die
Gelegenheit dazu gehabt hätte?«
    Die Art, wie Ottmar Noteboom beim Ausatmen Krümel in die Luft
pustete, sagte mir, dass ich ihm unbedacht sein Stichwort geliefert hatte.
»Mein Bruder hat im Leben immer alles bekommen«, polterte er wieder los.
»Diethardt brauchte nur die Hand auszustrecken. Erst war es die extragroße
Portion Schokoladeneis, später die supercoole Musikanlage, dann der Sportwagen
und zum Schluss jede Frau, die er haben wollte. Der Mann wusste doch gar nicht,
was es heißt, sich irgendetwas zu erarbeiten. Deshalb das Geschwafel von wegen
Leistung, die sich wieder lohnen müsse.«
    »Wie meinst du denn das jetzt?«
    »Leistung lohnt sich doch nicht, wenn du dich für dein Geld
abrackerst. Du musst einer von denen sein, die die Kohle abkassieren, dann
lohnt es sich. Einer wie mein Herr Bruder.« Ottmar lehnte sich zurück und
bürstete die Krümel aus seinem Frotteemantel. »Aber jetzt ist er abgetreten und
meine Tochter ist am Zuge. Ich sage immer: Die Welt ist nicht gerecht, also
müssen wir dazu beitragen, sie gerecht zu machen.«
    Die Zimtsterne waren köstlich. Solange sie auf dem Tisch standen,
konnte man einfach nicht damit aufhören, sie zu essen. Und Ottmar Noteboom
konnte nicht aufhören, sein sozialrevolutionäres Geschwätz abzusondern, über
die Verlogenheit der sogenannten Linken zu schimpfen, die in Filzpantoffeln und
Bademänteln vor den Fernsehern säßen, statt draußen auf den Straßen zu pennen.
Solidarisch zu sein mit denen, die noch wüssten, was Solidarität eigentlich
sei. Ich konnte es nicht mehr hören.

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