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Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Titel: Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Arsch!«, zischte er hinter mir, rannte mit aller
Kraft gegen mich und warf mich über die Brüstung. Im Fallen schoss es mir noch
durch den Kopf, dass ich den Kerl gleich so eingeschätzt hatte.
    »He, Chef, hier ist nicht der Hauptbahnhof! Schlaf deinen Rausch
woanders aus.«
    Ich schlug die Augen auf. Neben mir ragte eine Gestalt auf. Sie trug
ein rotes Gewand und auf dem Kopf eine rote Zipfelmütze mit weißem Bommel. Und
einen wallenden Bart. Der Weihnachtsmann. »Ho, ho, ho!«, sagte er und grinste
freundlich.
    Ächzend kämpfte ich mich auf die Füße. Sämtliche Gliedmaßen
schmerzten, sicher waren die meisten davon gebrochen. Ich konnte von Glück
sagen, dass ich mitten in einer Hecke gelandet war. »Der Winzling wollte mich
tatsächlich umbringen.« Na warte, der konnte was erleben.
    »Wird schon wieder«, meinte der Weihnachtsmann und hielt mir eine
Flasche hin. »Bald ist Weihnachten, da bringt man nicht einfach so jemanden um,
was, Meister?« So, wie der heilige Mann schwankte, musste er schon ordentlich
getankt haben. »Hier, nimm erst mal einen Schluck aus der Pulle.«
    Das tat ich, und obwohl ich keine Ahnung hatte, was für ein Gesöff
das war, außer dass es sich um Alkohol handelte, ging es mir schon bald besser.
Verrückte Zeiten sind das, dachte ich: Der Schnee schmilzt, der Frühling ist
nahe, aber wenn es dir dreckig geht, kommt der Weihnachtsmann und richtet dich
wieder auf. Wir tranken eine Weile zusammen, dann zeigte er mir den Weg zurück
zur Diepenbrockstraße, allerdings erst, nachdem ich sicherheitshalber noch
einen kräftigen Schluck genommen hatte.
    Da stand ich und glotzte auf den Zumsande-Platz, der ein
Postkartenmotiv gewesen wäre, wenn nicht sämtlicher Schnee geschmolzen wäre.
Eigentlich hatte ich genug für heute. Aber wo ich mich jetzt schon gestärkt
hatte, sollten mir die Bolzenius und ihr boshafter kleiner Zwerg nicht so
leicht davonkommen. Ich wollte auf meine Uhr sehen, aber sie war nicht mehr da,
musste wohl im Gebüsch hängen geblieben sein. Es wurde allmählich dunkel. Die
Podiumsdiskussion war sicher längst vorbei.
    Aus dem Internet kannte ich ihre Adresse. Zwar mochte es
unvorsichtig sein, aller Welt zu verraten, wo man wohnt, aber Susann Bolzenius
hatte wohl nicht widerstehen können, mit ihrem feinen Loft direkt am Kreativkai
zu protzen. Immobilien dieser Preisklasse konnten sich sonst nur Unternehmen
des gehobenen Mittelstands leisten oder Filmproduktionsfirmen, die aus Prinzip
über ihre Verhältnisse lebten.
    Inzwischen war es dunkel, die Luft war feucht und über dem Kanal kam
dichter Nebel auf. Die alten Hafengebäude ragten düster in der Dunkelheit auf,
wie Kulissen für den Showdown eines Siebziger-Jahre-Agentenfilms. Wer kam schon
auf die Idee, dass diese scheinbar so verrufene Gegend bevorzugtes
Siedlungsgebiet des Kunst- und Kulturbusiness wie auch Wohngebiet für
stadtverliebte Großkotze und Bestsellerautoren war.
    Auf dem Klingelschild stand ein bescheidenes » S. B. «. Natürlich war klar, dass sie mich niemals
hereinlassen würde, schon gar nicht nach unserer kleinen
Meinungsverschiedenheit. Aber ich hatte genug aus der Flasche des
Weihnachtsmannes getrunken, um dieses Argument einfach zu ignorieren.
    Und es geschah tatsächlich. Die Gegensprechanlage rauschte. »Wer ist
da?«, erkundigte sich eine männliche Stimme.
    »Ho, ho, ho!«, rief ich. »Hier ist der Weihnachtsmann, du
Blödarsch!«
    Die Tür öffnete sich. Ich nahm den Lift nach ganz oben. Es roch nach
einem Gemisch aus Bohnerwachs und weihnachtlichen Räucherkerzen. Oben wurde ich
schon erwartet. Aber nicht von Susann Bolzenius, sondern von einem leicht
übergewichtigen Kerl in Pantoffeln. Er fixierte mich neugierig.
    »He, Mann, bist du das?«, fragte er.
    Da stand Ottmar Noteboom. Ich erkannte ihn erst auf den zweiten
Blick, denn in dem hellblauen Frotteebademantel war er ein komplett anderer
Mensch als in seinen Clochardklamotten. Er musterte mich und schlug mir
anerkennend auf die Schulter. »Konntest nicht widerstehen, was? Willkommen im
Club.«
    »Wovon redest du?«
    »Ich sag dir, auf der Straße zu pennen ist eine Erfahrung, die kann
man gar nicht hoch genug einschätzen.«
    Ich sah in den nächsten Spiegel – diese Wohnung wimmelte nur so
davon. In meinem Haar und im Kragen steckten Blätter und Zweige. »Blödsinn, ich
bin nur aus dem Fenster gefallen«, sagte ich. »Eigentlich bin ich auf der Suche
nach Susann Bolzenius und ihrem Kobold.«
    »Die ist auf einer Lesung«,

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