Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Vor allem konnte ich nicht sagen, was
meine Übelkeit verursachte – sein Geschwätz, die Zimtsterne oder das Gesöff,
das mir der Weihnachtsmann eingeflößt hatte, oder alles zusammen. Schließlich
und endlich war es ja auch egal.
»Letztlich kommen wir an einer Änderung des Systems nicht vorbei«,
sagte er. »Die ist die Voraussetzung für eine wirkliche Revolution. Für eine
Änderung des Bewusstseins, meinst du nicht auch?«
»Klar«, sagte ich. »Aber wo ist hier eigentlich das Klo?«
Ottmar reagierte, als habe er diese Frage schon erwartet. »Es ist
die Tür da drüben«, sagte er, »direkt gegenüber der Küche.«
Ich fand das Bad und betrat einen hellblau gefliesten Raum. In der
Mitte ragte wie ein weißer Altar ein runder Whirlpool auf. Er schwankte hin und
her, löste sich vom Boden und schwebte hoch durch die Luft, um wieder am Boden
zu landen. Auch die Duschkabine schwebte. Obwohl sie besetzt war. Irgendein
Kerl stand darin mit einer langen schwarzen Robe. Ich kannte ihn, kam aber
nicht darauf, woher. Denn schlagartig wurde mir hundeelend, dann kotzübel und
schließlich schwarz vor Augen.
27
Zum zweiten Mal an diesem vermaledeiten Tag wachte ich
auf, ohne mich vorher schlafen gelegt zu haben. Dieses Mal lag ich in einem
Luxusbadezimmer auf marmornen Stufen, die zum Whirlpool führten.
Wie lange war ich weg gewesen? Mir fiel auf, dass der Whirlpool im
Gegensatz zu allem anderen in dieser Wohnung nicht picobello war, sondern mit
einer eklig braunen Masse besudelt. Zwei oder drei Sekunden brauchte mein
verlangsamtes Hirn, um dieses Rätsel zu lösen: Ich hatte mich übergeben müssen
und in der Eile die Kloschüssel nicht gefunden. Genauso hatte es sich
abgespielt. Dann musste ich eingeschlafen sein.
Ich stand auf und verließ das Badezimmer. »Noteboom?«, rief ich.
Keine Antwort. Ich taumelte über den flauschigen Teppich. Im Wohnzimmer auf dem
Tisch stand noch der Teller, der mit Weihnachtsgebäck gefüllt gewesen war. Er
war leer.
Zimtsterne!, durchfuhr es mich. Er hatte versucht, mich umzubringen.
Aber das machte wenig Sinn. Außerdem hatte Ottmar Noteboom
mindestens so viele Kekse gegessen wie ich. Neben dem Teller lag ein Zettel: Lass dir ruhig Zeit auf dem Pott, Bruder. Ich bin gleich zurück,
dann reden wir weiter.
Wir reden weiter. Die spontan zurückkehrende Übelkeit machte mir
deutlich, dass die Zimtsterne nicht vergiftet waren. Ottmar und sein
unerträgliches Geschwätz waren die Ursache dafür, dass es im Badezimmer nicht
mehr dezent nach Putzmittel roch, sondern nach Erbrochenem. Und er konnte jeden
Moment zurück sein. Das wollte ich meinem Magen nicht antun.
Gegen halb neun kam ich nach Hause. Der Fußmarsch vom Hafen
zurück hatte mir gutgetan. Ich fühlte mich wieder recht fit und bemühte mich,
möglichst wenig an Weihnachtsgebäck zu denken. Endlich Feierabend, dachte ich,
als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, warf die Jacke in die Ecke und wollte
es mir auf der Couch gemütlich machen. Aber da öffnete sich die Tür zum
Schlafzimmer und Svedlana trat heraus. Sie sah umwerfend aus. Verführerisch, in
einem hauchdünnen Abendkleid, von dem man nicht sagen konnte, ob es zum
Ausgehen gedacht war oder für das Bett. Sie duftete, dass es einem den Atem
verschlug. »Da bist du ja endlich«, sagte sie. »Gerade richtig zum
Weihnachtsessen.«
Ich erkannte meine Küche nicht wieder: Über den Tisch war eine Decke
mit weihnachtlichen Motiven gebreitet. Zwei Kerzen in schön geformten Leuchtern
tauchten den Raum in eine sinnliche Atmosphäre. Svedlana servierte ein
russisches Menü mit vier Gängen ohne Weihnachtsgebäck. Es war traumhaft. Und es
wurde noch besser. Nach dem Essen verzogen wir uns ins Schlafzimmer, das auch
von lauschigem Kerzenlicht erhellt wurde. Und das, womit wir uns die nächsten
zwei Stunden ausgiebig beschäftigten, ließ mir das Fest der Liebe in völlig
neuem Licht erscheinen. Es war geradezu weihnachtlicher Sex.
Anschließend stand sie auf und holte ihre Handtasche. Ich konnte es
kaum glauben: Svedlana, die Fitnessfanatikerin, gönnte sich eine Zigarette
danach.
»Du hast mir immer noch nicht erzählt, wie es gestern bei Gorbitsch
war«, sagte ich.
»Das war rein beruflich.«
»Beruflich? Du arbeitest doch jetzt für mich.«
»Klar. Aber auf seinem Gebiet ist er unschlagbar.«
»Du meinst Personal Firewalling ?«
Svedlana nickte. »Er ist richtig gut«, sagte sie mit echter
Bewunderung in der Stimme. »In Russland könnte er Karriere machen.
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