Tod vor der Morgenmesse
Deck. Zwar mühte er sich, sein Abwärtsgleiten zu bremsen, schlug aber am anderen Ende schmerzhaft mit einem Knie gegen die Reling. Er sprang über Bord und |21| landete auf allen vieren im Kies am Ufersaum. Nackte Furcht trieb ihn vorwärts. Er richtete sich auf, stolperte durch die nassen, glitschigen Kiesel, die erbarmungslos an seinen Fußgelenken zerrten und sie nicht losließen. Mehrmals schlug er hin, doch die Angst saß ihm im Nacken und peitschte ihn voran. Schon vernahm er das Tosen der anrollenden Welle, hörte, wie die Planken des Schiffes weiter brachen.
Er bezwang sich, schaute nicht nach hinten, spürte aber, daß die Welle nah war. Vor ihm tauchte eine Felsnadel auf, er warf sich der Länge nach hin, umschlang sie mit beiden Armen, als hätte er nach langer Trennung seine Liebste vor sich. Dann brachen die tosenden, schäumenden Wasser über ihn herein. Es schien ihm eine Ewigkeit, wie lange sie über ihm brodelten, und ihm ging die Luft aus. Er wollte schon die sich ineinanderklammernden Hände lösen und auftauchen, da spürte er den starken Sog des zurückgehenden Wassers. Der zerrte an ihm, wollte seine Hände auseinanderreißen. Alle Kraft, die ihm blieb, lenkte er darauf, die Finger fest ineinanderzuhaken. Mit einemmal war das Wasser fort, er hörte nur noch das unheimliche Rollen und Rascheln der Kieselsteine, die die abebbende Flut mit sich schleifte.
Esumaro keuchte, spuckte Wasser, stöhnte unwillkürlich in seiner Angst. Er kam auf die Knie, suchte sich zu vergewissern, wo er war, kroch aufs Ufer zu. Um ihn herum nur große Felsblöcke; auf allen vieren krabbelte er weiter hoch. Die nächste Woge rauschte heran, doch zum Glück spürte er jetzt Sand unter sich und sogar Gras. Trotzdem gönnte er sich keine Verschnaufpause, humpelte weiter, bis ein Dornbusch ihn zurückriß. Mitten in dem Gesträuch fiel er hin und wurde ohnmächtig.
Es war noch dunkel, als er zu sich kam, aber der Wind schien abzuflauen. Er hörte Donnergrollen in der Ferne, und |22| Blitze erleuchteten die Gipfel der nahen Berge. Esumaro hob vorsichtig den Kopf und blinzelte mehrmals, um klar sehen zu können. Er war bäuchlings gefallen und hatte mit dem Gesicht nach unten in einem Gestrüpp gelegen. Aus der Ferne drangen Stimmen an sein Ohr. Er wollte aufstehen, hatte aber nicht die Kraft dazu.
So stützte er sich auf die Ellbogen, schob sich langsam in eine bessere Position und schaute in Richtung des dunklen, tobenden Meeres. Er befand sich auf einer grasbewachsenen Kuppe oberhalb eines langgestreckten Strandes mit schwach schimmerndem weißen Sand. Einige Männer gingen umher und hielten Laternen hoch, um die Gegend abzusuchen. Der Uferstreifen war mit Schiffstrümmern und Toten übersät. Nach rechts, wo er ans Ufer gelangt war, stieg die Küste an. Der Strand war durch vorgelagerte Riffe geschützt, und gegen die hatte das Unwetter die »Sumerli« geschmettert.
Mit heftigen Kopfbewegungen versuchte er, die Benommenheit abzuschütteln. Er wollte schon rufen, um sich den Männern unten am Strand bemerkbar zu machen. Da hörte er eine Stimme, die etwas in der Sprache der Éireannach rief, die er während all der Jahre gelernt hatte, in denen er mit ihnen Handel trieb.
»Der hier lebt noch, Olcán.«
Im Laternenlicht sah Esumaro, wie ein Mann eine schwere Holzkeule hob.
»Wartet!« Eine weitere Person tauchte auf, die eine Laterne in einer Hand hielt. »Richtet ihn mal auf!«
Mehrere Gestalten bückten sich und zerrten einen Mann hoch und in den Schein der Laternen. Das Gesicht des Schiffbrüchigen konnte Esumaro nicht sehen, doch es mußte jemand von seiner Mannschaft sein.
|23| »Verstehst du mich?« hörte er den Mann fragen, den sie Olcán nannten.
Der Überlebende hustete und suchte die Sprache wiederzufinden. Offenbar hatte er angedeutet, daß er ihn verstand, denn wieder fragte Olcán.
»Was für ein Schiff?«
Schweigen. Ungeduldig wurde die Frage wiederholt.
»Die ›Sumerli‹, von Gallien.«
Erregt und verwirrt erkannte Esumaro Coros’ Stimme.
»Gallien? Ein Handelsschiff?«
»Ja, sind von An Naoned aus gesegelt.«
»Welche Ladung?«
»Wein, Gold und Silber für die Goldschmiede in den Klöstern.«
Jubelnd lachte Olcán auf, daß es Esumaro kalt überlief.
»Prachtvoll. Erschlag ihn!«
Die Keule fuhr nieder, und der Mensch, der Coros war, sackte lautlos auf dem Strand zusammen.
»Sobald es hell wird, bergen wir die Ladung und schaffen, was brauchbar ist, in den Turm. Was sagt er, Gold
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