Tod vor der Morgenmesse
Schiff schwoite, als ob es sich wieder seewärts richten wollte.
»Beidrehen, beidrehen!« schrie Esumaro aus vollem Halse, fürchtete er doch, daß sie jeden Moment kentern könnten.
Die Leute an der Ruderpinne hatten begriffen, welche Gefahr ihnen drohte, stemmten sich mit aller Kraft dagegen, trotzten dem Toben von Wind und Meer. Die Wellen türmten sich auf, trugen noch stärkere Schaumkronen als zuvor, warfen sich mit gierigen, krallenbewehrten Tatzen gegen das Schiff. Ohrenbetäubend heulte der Sturm. Esumaro betete stumm, kalte Schauer liefen ihm über den Rücken, und er atmete nur stoßweise. Kurz schien das Schiff stillzustehen, wollte sich weder vom Wetter noch von Menschen lenken lassen, dann schwenkte sein Bug langsam und widerwillig wieder auf Kurs.
Verbissen spähte Esumaro nach vorn. Jetzt mußten sie jeden Moment an den Engpaß kommen, der von den Einheimischen »Inselspitze« oder auch »Schwarze Spitze« genannt wurde. Er wußte, da waren Sandbänke, aber bei so hoch gehender See hatte er genug Wasser unter dem Kiel, um sich hindurchzumanövrieren.
|19| »Ein Feuer rechts voraus, Käpten!« schrie Coros.
Verdutzt starrte Esumaro ins Dunkel der Regengüsse.
Er hatte geglaubt, sie wären dem Wendepunkt nahe, wo die Landzunge Inis in die Bucht ragte. Das war eigentlich ein Inselchen, das vom Festland auf der Nordseite nur bei Flut getrennt war. Er mußte sich also südwärts halten, um nicht aufzulaufen. Doch südwärts war ein Feuer, das auf und ab tanzte. Nur ein anderes Boot konnte sich so bewegen. Wieso war da ein Schiff und bei dem Wetter? Es mußte im Schutz des Südufers vor Anker liegen. War er schon zu weit südwärts?
»Steuerbords vorbei!« brüllte er schnell. »Wir passieren steuerbords!«
Sie zogen das Ruder etwas nach rechts, um das Leuchtfeuer nördlich zu umschiffen.
Wenige Augenblicke später schrie Coros entsetzt auf.
»O Gott!«
Esumaro vernahm den Schrei und sah eine weiß schimmernde Linie vor dem Bug der »Sumerli«
.
Es krachte fürchterlich, das Schiff drehte sich in seiner ganzen Länge, anrollende Wogen donnerten gegen die Planken der Seitenwand, trugen das Schiff seitwärts auf das flache, felsige Ufer. In dem Getöse konnte er die Angstschreie seiner Leute nicht hören, sah nur, wie einige einfach über Bord gespült wurden. Das Deck glitt ihm unter den Füßen weg, er konnte sich eben noch an die Reling klammern, sonst wäre er ihnen gefolgt.
Das Kauffahrteischiff krängte nach Backbord und lag mit der Breitseite auf den Klippen am Strand. Gewaltige Wellen krachten darüber hinweg. Die Sturzflut einer hohen Wasserwand zermalmte das hölzerne Gefährt. Planke um Planke wurde bei diesem Ansturm der Natur weggerissen. Das Deck war um fünfundvierzig Grad gekippt, noch hielt sich Esumaro mit beiden Händen an der Heckreling fest, doch begriff |20| er bereits, daß sein Schiff auf Grund gelaufen war und daß er und seine Mannschaft verloren waren.
Die See um ihn herum glich einem brodelnden Hexenkessel. Er hörte das fürchterliche Rasseln, wenn der Unterwassersog die Kiesel vom Strand zog, bevor die nächste gewaltige Woge über das Schiff hereinbrach.
Vergebens hielt er Ausschau nach Überlebenden. Der Kapitän war allein, er keuchte, flehte Gott um Hilfe an, wußte, da war keine Chance, lebend davonzukommen. Das Schiff würde völlig auseinanderbrechen, soviel war sicher. Lange würde er sich auch nicht mehr an der Eisenstange halten können. Die Arme schmerzten bereits, wenn er sich festklammerte, um der Wucht der Wasserkaskaden zu widerstehen, die über ihn stürzten. Die verkrampften Muskeln in Oberarmen und Schultern ließen ihn jedesmal vor Schmerz aufschreien. Ihm blieb nur noch eins. Sobald die nächste Welle zurückrollte, würde er übers Deck rutschen und sich auf den Kieselstrand fallen lassen, würde sich irgendwie aufrappeln müssen und zum Ufer rennen, ehe die folgende Woge zuschlug. Wieviel Zeit ihm dazu blieb, vermochte er nicht einzuschätzen. In der Dunkelheit konnte er nicht einmal ausmachen, wie hoch das Wasser auflief.
Esumaro waren Heimweh und sentimentale Gefühle fremd, doch jetzt sah er Frau und Kinder in seinem Heimathafen An Naoned vor sich, und er schluchzte laut. Aber Selbstmitleid nützte nichts, selbst eine Ratte kämpfte, wenn sie in Gefahr war zu ertrinken. Er mußte kämpfen, egal wie es ausging.
Sobald er hörte, wie der Sog unter ihm mit den Kieseln rasselte, ließ er die Reling los und rutschte über das schiefstehende
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