Tod vor der Morgenmesse
heftiger werdenden Wind.
Er gab den beiden Matrosen an der Ruderpinne einen Wink, denn mindestens zwei wurden benötigt, um das Schiff in der schweren See auf Kurs zu halten. Sofort zogen beide mit aller Kraft den langen hölzernen Hebel über das Deck.
Kaum hatte das Schiff seine Breitseite in die Windrichtung |16| gedreht, da traf es der Sturm mit voller Gewalt. Die Segel knatterten, und der Wind pfiff durch die Takelage.
Esumaro hielt sich auf Deck so geschickt, als befände sich das Schiff auf spiegelglatter See. Keinen Moment ließ er die schwellenden Segel aus dem Auge. Soviel stand fest, sie würden in schweres Wetter geraten, ehe sie noch in das ruhige Wasser der Bucht gelangten.
»Strecktaue längsschiffs festmachen«, brüllte er und hieß Coros nach vorn laufen, um mit Hand anzulegen.
Nun spielte der Wind wie ein Musikant auf den straff gespannten Wanten, zerrte wie ein irrer Harfenist die gestreckten Saiten. Große, graue, schaumige Wellen schlugen gegen die Backbordseite, und das Schiff krängte ein wenig, ehe es sich wieder aufrichtete. Eine Bö traf es seitwärts, und wieder krängte es. Soviel sich die Männer an der Ruderpinne auch mühten, das Schiff schwenkte unbeholfen zur Seite, das Heck hob sich schwerfällig, während der Bug sich gefährlich der Wasseroberfläche näherte. Dem Kapitän war klar, daß er Segel reffen mußte, sonst würde der zunehmende Wind sie zum Kentern bringen.
»Wir müssen das Großsegel reffen, Coros. Auf Kurs bleiben!« Der Befehl galt den Männern an der Ruderpinne. »Das Heck im Wind halten!«
Jedes Segel war in querlaufende Abschnitte unterteilt, die Reffs, die man aufrollte, wollte man die dem Wind ausgesetzte Segelfläche mindern. Jedes Reff hatte sein eigenes Band, einen verstärkten Leinwandstreifen, mit dem das Segel an die Schoten oder Stütztaue geknotet wurde.
Coros befahl, die Segel zu reffen.
Und gleich ließ der Druck spürbar nach, wenn auch der Wind immer noch durch die Seile der Takelage fuhr und sie wie Harfensaiten zum Klingen brachte. Die »Sumerli« |17| lief rasch in die breite Öffnung der Bucht. Die Küste zu beiden Seiten würde sich am Ende zu einem Trichter verengen. Hatten sie erst einmal den Felsvorsprung hinter sich, der einfach Inis, »die Insel«, hieß, würden sie in den ruhigen, windgeschützten Loch na dTri Caol kommen, durch den man den Ankerplatz der Abtei Colmán erreichte. In dem Hafen hatte Esumaro schon oft angelegt, doch nie unter sich verdüsterndem Himmel und nicht bei derartigem Sturm.
Backbords konnte der Kapitän die dunklen, gezackten Umrisse der Berge ausmachen, die sich wie das Rückgrat einer Riesenechse über die Halbinsel zogen. Auch auf der Steuerbordseite waren ähnliche dunkle Bergspitzen durch den Regen zu erkennen. Er spürte förmlich, wie die breite Öffnung der Bucht enger wurde.
Die Dämmerung des Winterabends setzte ein und schien durch die dunklen Sturmwolken unmittelbar in die Nacht überzugehen. Der Wind aber blies unvermindert, wimmerte und stöhnte in der Takelung. Das Schiff stampfte in der schweren See, und die Wogen donnerten unablässig gegen die Heckplanken. Esumaro schaute hinter sich und biß die Zähne zusammen, denn eine Welle, gewaltig wie ein schwarzer Berg, rollte auf sie zu und drohte sie zu verschlingen. Zum Glück brach sie sich unter dem Heck, hob das Schiff und stieß es vorwärts. Backbord und steuerbord trafen die Brecher aufschäumend die Felsen, die vor dem steil ansteigenden Ufer lagen. Esumaro schaute einen Moment hinüber zu den Matrosen, die blaß geworden waren und sich an die Ruderpinne klammerten. Aufmunternd lächelte er ihnen zu, obwohl ihm keineswegs so zumute war.
»Sind bald in Sicherheit«, rief er. »Vor uns sind zwei Landzungen, und dahinter kommt ruhiges Fahrwasser, da können wir beidrehen.«
|18| Plötzlich fegte brüllend eine Bö heran, es krachte, und etwas zerriß. Einen Augenblick verloren die Männer an der Ruderpinne fast den Halt, denn der Hebelbalken gebärdete sich wie wild und wollte sich losreißen. Als sie ihn wieder zu fassen bekamen, richtete sich Esumaro mühsam auf. Er war gegen die Reling geflogen, und die hatte ihn davor bewahrt, über Bord geschleudert zu werden. Einen Augenblick lang war ihm die Luft weggeblieben, nun stand er keuchend da, hustete Salzwasser und Regen aus, die er hatte schlucken müssen. Dann suchten seine Augen die Masten ab. Vom Sturmsegel waren nur noch Fetzen übriggeblieben, die an den Rahen flatterten. Das
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